Bakterienmord - der Zucker war's

wenn Zucker dem Darm schadet

Unser Darm ist ein Mikrokosmos im Makrokosmos. In ihm leben unter anderem klitzekleine Monster, die nur darauf warten, mit den süßen weißen Kristallen gefüttert zu werden. Die brauchen sie, um sich zu vermehren – und so die anderen, die „guten“ Darmbewohner zu überwuchern. Mit schwerwiegenden Folgen: denn Darm und Gehirn sind auf direktem Weg miteinander vernetzt. Zu viel Zucker macht Stau.

Darm und Gehirn sind vernetzt

Das größte Gewimmel herrscht im Dickdarm – da, wo die meiste Nahrung zu finden ist. Sage und schreibe eine Billiarde Einzeller siedeln pro Gramm in den Wänden des Darms und seinem Inhalt, fördern die Verdauung und stärken die Abwehr. Dieses Mikrobiom ist individuell, und je vielfältiger es ist, das heißt, je abwechslungsreicher all das, was da lebt, ernährt wird, desto besser ist auch unser Immunsystem. Und nicht nur das: Es gibt so eine Art Autobahn zwischen Darm und Gehirn. Und nicht zuletzt das, was viele von uns bei alltäglichen Entscheidungen begleitet: unser „Bauchgefühl“.

Professor Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung, erklärt es genauer: „Diese Achse, der Kommunikationsweg, besteht vor allem aus einem Nervengeflecht, das mit dem Rückenmark in Verbindung steht und bei dem auch der sogenannte Vagusnerv eine entscheidende Rolle spielt. Dazu kommen Botenstoffe.“ Für den Nürnberger Neurologen und seine Kollegen ist diese Verbindung nicht neu. „Früher dachte man, die Signale kämen aus dem Gehirn und der Darm sei das Empfängerorgan. Aber aus der Forschung zu Parkinson und Multipler Sklerose wissen wir, dass die Signale vor allem in die andere Richtung laufen: Etwa 80 bis 90 Prozent der Informationen werden von unten nach oben gesendet.“ Das, was im Darm passiert, hat also Auswirkungen aufs Gehirn. Und aufs Verhalten. Das Problem dabei: Wir haben unser Mikrobiom in den letzten Jahrzehnten zu seinem Nachteil verändert. Antibiotika spielen hier eine Rolle, Kaiserschnittgeburten, bei denen das Kind nicht mehr durch den Geburtskanal muss und ihm sozusagen der Kontakt mit wichtigen Keimen verloren geht, und vor allem: einseitige Ernährung mit viel Fast Food und Limonade.

Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht

„Der Darm ist ein riesiges Ökosystem, in dem zwischen 800 und 1000 unterschiedliche Bakterien, dazu Pilze und Viren leben. Eine zu einseitige Ernährung mit zu wenig Ballaststoffen kann das Mikrobiom verkümmern lassen. Und wenn wir zu viel Zucker essen, dann füttern wir damit auch noch die falschen Bakterien.“ Diese Fäulnisbakterien, die wir in einem gesunden Maß brauchen, fühlen sich dann besonders wohl, vermehren sich, verursachen Bauchschmerzen und Blähungen und vertreiben die anderen. Der Stoffwechsel kommt aus dem Gleichgewicht.
Sind die kleinen „schlechten Bakterien“ erst mal in der Überzahl, können sie einiges an Unheil anrichten. Krankheiten können entstehen, wir schlafen schlecht, bekommen quälende Kopfschmerzen. „Zuckerreiche Ernährung bringt zusätzlich die Hormone durcheinander und kann dazu führen, dass wir unausgeglichen, manchmal sogar aggressiv werden.“

Krank durch Zucker?

Sogar eine Schädigung des Gehirns durch ein Zuviel an Zucker steht bei Forschern im Raum. Genau wie die Tatsache, dass der Darm undicht wird, wenn wir zu viel Fast Food und Zucker aufnehmen. Dadurch gelangen nämlich Entzündungsbotenstoffe ins Blut, die da gar nicht hingehören. Das Produkt, das entsteht, wenn Bakterien zu viel Zucker futtern, beeinflusst sowohl das Gehirn als auch das Verhalten. Es steht unter dem Verdacht, Gene – unter anderem auch die, die mit Autismus in Zusammenhang gebracht werden – ein- bzw. ausschalten zu können. „Bis jetzt“, so Frank Erbguth, „können wir hier überall nur Muster erkennen. Wo die genaue Grenze zwischen Gut und Böse ist, das wissen wir noch nicht. Was wir aber wissen, ist, dass wir den Darm ordentlich ruinieren können. Aber das sind keine unumstößlichen Schäden – innerhalb von Wochen kann sich das Mikrobiom erholen. Bis dieses Ergebnis allerdings beim Gehirn Auswirkungen zeigt, das kann dauern. Da braucht es ein paar Monate Geduld.“

Hilfe für den Darm

Prä- und Probiotika, als Pillen, Pülverchen oder in joghurtbasierten Fläschchen, scheinen die schnellste Lösung zu sein, um die richtigen Bakterien zu füttern. Päppeln wir doch einfach wieder auf, was wir vorher industriezuckerreich zerstört haben! Das Problem dabei ist: Sie kosten eine Menge Geld und kommen oft nicht einmal im Darm an. Einfacher ist es, sich abwechslungsreich zu ernähren, fermentiertes Sauerkraut, Chicorée und regelmäßig ein Biojoghurt in Reinform zu essen. Da schlecken sich die „guten“ Bakterien nämlich die Mäuler. Am besten, wir gewöhnen unsere Kinder von Anfang an an Lebensmittel, die wenig Zucker, dafür aber Bitter- und Ballaststoffe enthalten. Denn je später wir damit beginnen, desto schwieriger wird es, unserem zuckersüßen Nachwuchs zu erklären, warum er sowas essen soll, wo es doch so süße kleine bunte Minijoghurts gibt.

Text: Simone Blaß, ELMA #14, Februar 2022

EIN ZUVIEL AN ZUCKER KANN VIELE FOLGEN HABEN:
Übergewicht, Karies, Herz-Kreislauf-Probleme, Diabetes, Schlafstörungen, Heftige Kopfschmerzen, Depressionen, Demenz, Angststörungen, schlechte Haut und tiefe Falten aufgrund von „verzuckertem“ Gewebe

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