Elternleben

Ein Tag im strukturierten Wahnsinn des Beziehungsalltags
Elternzeit

Viele Paare verlieren sich, ihre Liebe und ihren Partner. Spätestens, wenn das erste Kind da ist. Meist folgt ein zweites Kind. Was die Sache nicht einfacher macht. Ein Erfahrungsbericht vom Rande des strukturierten Wahnsinns eines Beziehungsalltags. In der Hoffnung, dass jemand was daraus lernen kann.

Schon lange klingelt kein Wecker mehr. Eltern brauchen keinen Wecker. Eltern haben Kinder. Kinder, die sich im Ehebett drehen, treten und schlagen. Die meiste Zeit davon im Schlaf. Bei Kleinkindern folgt pünktlich um 6 Uhr zudem der Wunsch nach Essen. Die weniger Glücklichen bekommen eine leere Milchflasche ins Gesicht gehauen. Dass hinter diesem kleinen Wunder des Lebens, das einem so viel zurückgibt, der Partner liegt, könnte ins Vergessen geraten. Wenn nicht das wohlige Schnarchen des Partners die flüchtigen Phasen des Schlafs unterbrochen hätte. Danke, Nasennebenhöhlenentzündung, du Mahner jeder Beziehung. Also raus aus dem Bett. Jochen Distelmeyers zarte Frage aus dem gleichnamigen Song weht dabei durchs Gedächtnis: „Kommst du mit in den Alltag?“ Spätestens beim Zähneputzen wieder und wieder die Erkenntnis, dass ich Blumfeld noch nie ausstehen konnte.

Was nach dem Zähneputzen folgt: Frühstück schmieren, in Boxen packen, sortieren, auf dem Smartphone schnell die Nachrichten anschauen. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wuseln dabei zwei Kinder um mich herum, die beim Frühstück helfen wollen, oder alle schlafen bis auf kurz vor knapp. Was mehr Stress macht, lässt sich nie herausfinden. Das eine hat man, das andere will man. Wer seinem Partner an diesem Punkt des Tages etwas Gutes tun will: Kaffee. Oder Tee. Einfach machen und kommentarlos hinbringen. Nichts, wirklich nichts ist an diesem Punkt des Tages der größere Liebesbeweis.

Dann Kinder zur Schule bringen. Aufregen, dass so viele Idioten ihre Kinder mit dem SUV zur Schule bringen. Auf die Hupe des eigenen SUV hauen, weil die letzten fünf Meter bis zum Eingangstor der Schule mit lauter SUV verstopft sind. Nervenzusammenbruch vermeiden, wenn es dann von der Rückbank heißt, dass das Matheheft noch im Kinderzimmer liegt oder es noch einen Käsekuchen für den Adventsbasar an diesem Abend braucht. Hier ist dann Teamarbeit gefragt. Nicht alles alleine machen. Den Partner einbeziehen. Denn Stress ist das Einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt. Okay, nicht ganz fair. Aber jemand muss in diesen Situationen die Verantwortung übernehmen. Beim Partner um Hilfe bitten, ist da keine Schande.

Wenn alle, wirklich alle und auch das Matheheft aus dem Haus sind, geht die Geisel des Tages los: Lohnarbeit. Nervige Kollegen. Graues Büro. Jeden Tag Flashbacks an Ausschnitte aus neun Staffeln The Office. Jedoch lässt sich auch dies mit Teamarbeit durchstehen. Gefragt, was ihr in ihrer Ehe gelungen sei, was anderen nicht gelingt, antwortete die Scheidungsanwältin Helene Klaar dem SZ-Magazin: „Wir haben nie geglaubt, dass uns das pure Glück erwartet. Wir haben nicht an die Fernsehwerbung geglaubt, die einem vormacht, wenn man den Kindern nur die richtige Windel umschnallt, tanzen sie Cancan, schreien nie, und man kann wunderbar kochen und hübsch sein und aufregenden Sex haben. Außerdem haben mein Mann und ich feste politische Überzeugungen und sind der Meinung, dass an allem wirklich Schlechten der Kapitalismus schuld ist.“ Daher ließen sich ihr Mann und sie nicht gegeneinanderhetzen. Merke: Auch ein gemeinsamer Feind kann die eigene Bindung stärken. Und der Kapitalismus hat es wirklich verdient. Wer das noch nie in seinem Bürojob spürte, sollte vielleicht mal sein Manager-Magazin-Abo überdenken.

Nachmittag und Abend verlaufen wie der Morgen. Nur umgekehrt. Finden sich in diesem Chaos Freiräume für Eltern? Wenn sie sich auftun, seid glücklich. Wenn nicht, macht euch keinen Stress. Ihr erzieht Kinder. Das ist Aufgabe genug. Wer da ein Mindestmaß an Höflichkeit wahrt, hat für den Tag genug getan. Dinge wie Menschenwürde mal ausgeklammert. Unter dem Knall der Badezimmertür verschwindet sie ganz schnell, wenn eins der Kinder reingelaufen kommt, um sein Playmobil-Boot endlich in der Badewanne zu Wasser zu lassen – mindestens ein Elternteil sitzt dabei grundsätzlich auf der Toilette.
Zudem können sich alle Eltern beruhigen: Die Entropie arbeitet so oder so gegen euch. Im Haushalt herrscht immer Chaos, weil jede Ordnung dem natürlichen Zustand des Chaos zustrebt. Mal mehr, mal weniger. Es ist Naturwissenschaft. Und wenn das nicht reicht, gilt der Rat von Familienvater Phil Dunphy aus der US-Serie Modern Family: „Heirate jemanden, der sexy aussieht, während er enttäuscht ist.“

Sind dann die Kinder alle ins Bett gebracht, das Chaos akzeptiert oder einigermaßen beseitigt, steht Elternzeit an. Denn das letzte Mal ist jetzt auch schon drei Wochen her. Oder waren es vier Wochen? Egal. Jetzt, endlich! Doch durch den langen Abstand steigt der Leistungsdruck. Es muss eine außergewöhnliche Performance her! 30 Minuten mindestens. In wildesten Stellungen. Mit Dessous! Mit Liebesspielzeug! Aber Moment, liegt alles in der Nachttischschublade im Schlafzimmer, und da pennt ja schon ein Kind im Bett. Ausweichen auf die Wohnzimmercouch? Oder ins Badezimmer? Flexibilität ist gefragt. Und die Erinnerung: Sex muss nicht wie im Pornofilm sein. Sex darf langweilig, lustig, kurz, lang, anstrengend, kuschelig, wild, leise, laut oder sonst was sein. Hauptsache, beide Partner können sich einigen.

Nach zehn Minuten im siebten Himmel auf dem Badezimmerfußboden kommt der Alltag dann zurück. Duschen. Für die nächste Runde Alltag am nächsten Morgen vorbereiten. Und es ist völlig normal, sich im Angesicht dieses ganzen Stresses, dieses ganzen Theaters, um seine Ehe und Partnerschaft mal zu sorgen. Das beste Mittel dagegen: Sich vor dem Schlafengehen irgendwie so ins Bett legen, dass sich Partner und Kinder in den Arm nehmen lassen. Es gibt kein besseres Gefühl auf der Welt. Oder wie es Dirk von Lowtzow sang: „Spürst du nicht die Liebe? Sie verändert dich.“ Tocotronic waren eben einfach immer schon die bessere Band. Morgen gerne wieder. Und dann wird es ganz bestimmt weniger stressig.

Teil 2 dieses Beitrags: 7 Tipps für den Beziehungsalltag von Eltern findet ihr hier.
Text: Alfie Shumway, ELMA #17 August/September 2022

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