Comics für Kinder

Warum Comics (auch) endlich wieder Kinderkram sind
Comcis für Kinder - Mawil: Die Feuerwehr macht Urlaub; Reprodukt

Großartige Dinge wecken stets den brennenden Eifer der Sittenwächter. Was sollte nicht alles schon die Jugend verderben? Punk! Kurze Röcke! Mickey Maus! Es sind meist die Dinge, die besonders viel Spaß machen. Doch in den 60ern hatten gerade Comics einen schweren Stand. Obwohl sich seitdem irre viel getan hat, sind manche Vorurteile geblieben. Zu Unrecht.

Die Geschichte der Comics

Als „Teufelszeug in Sprechblasen!“ galten Comics noch vor 60 Jahren. In Nürnberg konnten Schüler gar an einem Aktionstag ihre Hefte und auch Groschenromane gegen wertvolle Literatur eintauschen. Und wo landeten die Comics? In den Flammen. Alles für den „literarischen Jugendschutz“, wie die Nürnberger Nachrichten damals einen Schuldirektor zitierten. Dabei gibt es Comics weit länger als alle Sittenwächter zusammen. Wer mag, kann die Anfänge in den Hieroglyphen sehen. Oder bei Wilhelm Busch. Doch das goldene Zeitalter des Comics sind die 40er des 20. Jahrhunderts, in denen dann Batman und Superman auftauchen. Fast zeitgleich entwickeln sich auch in Frankreich und Belgien ein eigener Stil und eine eigene Comic-Kultur. Von Japan ganz zu schweigen. (Siehe Infokasten.) Und in Deutschland? Passiert lange kaum etwas. 

Comics in Deutschland

Im Deutschland der Nachkriegszeit gelten Comics als Schundliteratur mit trivialen Geschichten, die der Jugend das richtige (meint: gutbürgerliche) Lesen abtrainiere. Wegen der vielen Bilder. Und vor allem die Soundwords wie SEUFZ oder BOOM machen den Deutschlehrern und Eltern zu schaffen. Dabei macht Comics gerade dies so besonders: Es ist ein ganz anderes Lesen, ein viel tieferes Eintauchen in die Geschichten. Das Auge springt von Bild zu Text und von Text zu Bild, nach ein, zwei Seiten geht dann der innere Film an und eine neue Welt öffnet sich. Ende der 90er beginnt dann sogar der Einzug von Comics in den klassischen Buchhandel, mit Manga und Graphic Novel. Heute ist der Comic ein etabliertes Stück Kultur. Neben diversen Superhelden wie Spider-Man kennt jeder Figuren wie Asterix und Donald Duck. (Stets gelesen unter der hochgezogenen Augenbraue eines Elternteils. Nur Asterix konnte zumindest noch die wichtige Gruppe der Lehrer mit den Ausgaben in Latein beruhigen.)

Comics für Erwachsene

Doch gerade der Begriff Graphic Novel sorgt dafür, dass es in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl an Comics von deutschen Künstlern gibt, die sich an ein erwachsenes Publikum richten. Der beste Marketing-Coup der letzten Zeit. Denn damit sind Comics rehabilitiert und nicht mehr nur der Lesestoff, der das Lesen der Kinder verdirbt. Lange konzentrieren sich Verlage und Kulturteile von Zeitungen und Magazinen deswegen auf die neuen erwachsenen Leser. 

Aber in der letzten Zeit entdecken Verlage und Künstlerinnen wie Künstler das junge Publikum neu. (Und zugegeben: Manche Verlage haben es nie vergessen.) Sparten und Programmplätze für Kindercomics müssen her. Seit 2018 erscheint mit „POLLE“ ein eigenes deutsches Magazin mit Kindercomics. Der relativ neue Kibitz-Verlag und verlegte gleich nur Kindercomics. Aber: Warum?
„Unter anderem vermutlich, weil Redakteure und Verleger darauf schauen, was in den USA passiert, wo der Markt für Young Adult Fiction und Comics für Kinder seit Jahren große Zuwächse zu verzeichnen hat“, sagt Dirk Rehm. Er gründete 1991 den Berliner Verlag Reprodukt. Kaum jemand hat mit seiner verlegerischen Tätigkeit das Ansehen des Comics in Deutschland so über die letzten Jahre geprägt wie der 58-Jährige. 

Comics für junges Publikum

Reprodukt veröffentlicht in seinem Programm bereits seit 2013 Comics für ein junges Publikum. Damals gab es schon langjährige Reihen wie Mickey Mouse und Asterix, oder Manga wie Sailor Moon bei anderen Verlagen. Alles Serien aus dem Ausland. Kein Wunder, dass sich Künstler hierzulande auch an Material für ein junges Publikum versuchen. Es gibt Comics mit Leseempfehlung von drei Jahren aufwärts. Und bereits manches Pappbilderbuch ließe sich guten Gewissens als Comic einordnen. Aktueller Neuzugang in diesem Programmsegment bei Reprodukt ist der bekannte Berliner Künstler Mawil mit Bänden wie „Power-Prinzessinnen-Patrouille“ und „Mauer, Leiter, Bauarbeiter“.  

mit Comics lernen

Comics seien natürlich nicht generell pädagogisch wertvoll, so Dirk Rehm, aber Kinder können genauso gut mit Comics Lesen lernen wie mit Kinderbüchern. „Wenn nicht besser.“ Ein Comic müsse seine jungen Leser ernst nehmen, um sie zu begeistern, „sie für Charaktere und Handlung einnehmen – etwa mittels Empathie für die Figuren, Spannung und Humor“. Dass Comics viel Potenzial für junge Leser haben, sagt auch Kathrin Rödl. Die 35-jährige Comic-Künstlerin beschäftigt sich in ihrer Masterarbeit an der Fachhochschule Würzburg gerade mit ebenjenem Potenzial. So fördern Comics Empathie und die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Durch das Zeichnen kommt noch eine weitere Ebene hinzu. In Workshops an Schulen arbeitet Rödl mit Kindern und Jugendlichen zusammen, um dieses Potenzial offenzulegen. Ein Ergebnis aus diesen Erfahrungen: ihr Buch „Mehr als stark – gechillt durch Alltag und Schulstress“, das Teil ebenjener Masterarbeit mit dem Titel „Ich-Stärke und Resilienz fördern durch sequenzielle Bilderzählung“ ist. Darin finden sich nicht nur Comics, sondern auch Zeichenübungen für Jugendliche von zehn bis fünfzehn Jahren. 

Visuelles Lernen

Vor allem das visuelle Lernen biete Vorteile, so Rödl. „Du wirst auf mehreren Ebenen angesprochen. Ein Bild löst emotionale Dinge aus, bevor es überhaupt zur Auseinandersetzung mit dem Text kommt.“ Wo wir wieder bei der Empathie sind. Und die Welt um Kinder und Jugendliche wird durch soziale Medien wie TikTok und Instagram nun einmal visueller. 

In ihren Workshops merkte Rödl, dass Kinder und Jugendliche sich natürlich schon vor ihrem gemeinsamen Arbeiten für Comics begeisterten. Marvel, Disney, Manga und Comic-Romane wie Gregs Tagebuch sind präsent. Neu sei vielleicht, dass Rödls Arbeit auch bei Lehrern auf Interesse stößt und viel Lob bekommt. Allein im letzten Jahr organisierte sie bayernweit an Schulen ihre Workshops. Der Auslöser damals bei Dirk Rehm, Kindercomics ins Programm seines Verlags aufzunehmen: „Eigene Kinder zu haben und sie mit Lesestoff jenseits von Disney begeistern zu können.“ Zum Vorteil für junge Leser, die heute auf eine spannende Vielfalt an Comics für sich blicken. Und für Comics brennende Leser sind nicht selten auch für andere Literatur brennende Leser. Man muss sie nur lassen. 

Text: Björn Bischoff

INFOKASTEN WAS IST WAS? 

COMIC: Das ist der Sammelbegriff für alles. Also wirklich alles. Hefte mit Superhelden, Alben mit Asterix, Manga und Graphic Novel. Was ein Comic genau ist? Lässt sich kaum definieren – wie beim Roman eben. Wenn ihr einen vor euch habt, wisst ihr es. 

GRAPHIC NOVEL: Ein Comic, meist in nur einem Band, der erwachsene Themen behandelt. (Meint weniger Sex und mehr Eheprobleme.) Wer Eindruck bei seiner Weißweinschorle-Runde schinden möchte, spricht deswegen konsequent nur von Graphic Novel. Auch wenn es um Donald Duck geht.

MANGA: Manga sind einfach japanische Comics. Lesen sich von hinten nach vorne. Besonders auffällig sind die großen Augen vieler Charaktere. Als Dragon Ball und Sailor Moon im Fernsehen Mitte der 90er bei RTL II anliefen, rettete der Verkauf der Manga-Ausgaben übrigens die eine oder andere Buchhandlung vor dem Ruin.

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