Viren heißen nicht nur Corona

das RS-Virus und andere Krankmacher
Viruserkrankung

Bakterien sind wie kleine Tierchen: Sie fressen, sie vermehren sich, haben bestimmte Eigenschaften, mit denen sie menschliche Zellen angreifen und kaputt machen können. Viren dagegen sind viel kleiner und brauchen einen Wirt, bei dem sie wohnen können. Um sich in Ruhe vermehren zu können, schalten sie fieserweise die Abwehr unserer Zellen aus, erklärt uns Dr. Michael Kandler, Oberarzt an der Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche am Klinikum Süd in Nürnberg.

Die kleinen Biester sind ja überall – aber wie steckt man sich genau mit einem Virus an?
Erkrankte atmen aus und bringen dabei mit einer solchen Geschwindigkeit zahlreiche kleine Tröpfchen in die Luft, dass das Gegenüber es nicht einmal schaffen würde, schützend die Augen zu schließen. Oder es kommt zu Schmierinfektionen wie bei Viren, die Magen-Darm-Grippe auslösen. Sie entstehen vor allem durch ungewaschene Hände, bei denen mikrokleine Kotspuren des einen über zum Beispiel die Türklinke auf andere übergehen. Allerdings steckt sich nicht jeder immer an, und man kann auch krank werden, wenn man die Hygieneregeln einhält. Das hat etwas mit dem Immunsystem zu tun.

Das heißt, dauernd zu putzen und zu desinfizieren bringt gar nichts?
Nein, das führt eher dazu, dass die Kinder in einer keimarmen Umgebung aufwachsen und das Immunsystem nicht genügend trainiert wird. Dieses Trainieren findet übrigens auch durch Ansteckung statt. Bestes Beispiel sind Kinder, die gerade in die Krippe oder die Kita gekommen sind und die daraufhin dauernd kränkeln. Auch hier trainiert sich das Immunsystem und bleibt auf Hab-Acht-Stellung. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum das Corona-Virus bei vielen Kindern – leider nicht bei allen – einen milden Verlauf hatte. Weil das Abwehrsystem durch die Keim- und Erregerwelt in ihrer Umgebung in Daueralarm ist und die Viren es gar nicht immer schaffen, die Abwehr der einzelnen Zellen auszuschalten. Deswegen haben auch die sogenannten Kinderkrankheiten bei Erwachsenen normalerweise einen heftigeren Verlauf.

Welche Viren sind denn auch heute noch für Kinder gefährlich?
Viele Krankheiten scheinen ausgerottet, aber dem ist nicht so. Durch die Globalisierung, Reisen und Kontakte leben auch wir nicht in einer geschützten, keimfreien Hochsicherheitsburg. Umso wichtiger ist das Impfen gegen manche Krankheiten. Masern oder Mumps zum Beispiel können auch für betroffene Kinder schlimme Folgen haben, mit bleibenden Schäden. Aber nicht immer ist nur der Geimpfte der Nutznießer. Das Röteln-Virus zum Beispiel ist für Kinder ein vergleichsweise harmloses Virus, wehe aber, wenn eine Schwangere angesteckt wird, die keine Antikörper hat. Ihr Kind kann schwerste Schäden davontragen.

Gerade jetzt in dieser Jahreszeit ist das RS-Virus wieder ein ziemliches Thema auf den Stationen der Krankenhäuser …
Dieses Virus ist vor allem für Babys gefährlich. Die Erkrankung wirkt zunächst wie eine Erkältung, aber die Viren zerstören die Zellen und lassen den Körpermüll in den Bronchien liegen – das kann so schlimm werden, dass eine Sauerstoffbeatmung notwendig wird. Gerade im Moment sehen wir ungewöhnliche Krankheitswellen, die darauf zurückzuführen sind, dass die Kinder aufgrund der Kontaktbeschränkungen keine Immunität aufbauen konnten.

Viren wie diese können durch Erwachsene übertragen werden, die kaum Symptome haben. Wie kann ich ein Neugeborenes schützen?
Ein neugeborenes Baby ist extrem schützenswert, am besten lässt man sich Zeit mit den Besuchen. Und wer auch nur die geringsten Krankheitsanzeichen hat, sollte sich von einem Neugeborenen sowieso fernhalten oder, wenn es ein nahes Familienmitglied ist, eine Maske aufsetzen.

Aber haben Neugeborene denn nicht einen Nestschutz?
Bis zu einem gewissen Grad schon – vorausgesetzt, die Mutter hat entsprechende Erkrankungen durchgemacht oder wurde dagegen geimpft. Dann gehen die Antikörper durch die Nabelschnur aus dem mütterlichen Blut zum Kind und es bekommt eine Grundausstattung, sozusagen eine geerbte Immunität. In Afrika zum Beispiel impft man werdende Mütter gegen Tetanus, weil die Babys zum Impfen zu jung wären und die Krankheit ihnen früh sehr gefährlich werden könnte.

Wann sollten Eltern bei einem kranken Kind hellhörig werden?
Ist es noch Ihr Kind oder verhält es sich wie ein ganz anderes Kind? Das ist ein wichtiges Anzeichen, genauso wie eine schnelle, angestrengte Atmung, schlimme Schmerzen oder ein apathisches Verhalten. Eltern müssen lernen, ihr Kind zu „lesen“ – denn oft genügt eine Extraportion Liebe, aber manchmal ist eben auch ein Klinikbesuch das Richtige.

Interview: Simone Blaß

 

 

Weitere Artikel