Regretting Motherhood

Die falsche Entscheidung

Das Baby ist da, die Strapazen, die Schmerzen der Geburt überstanden – und doch stellt sich keine richtige Verbindung zwischen Mama und Neugeborenem ein. Solche Wochenbettdepressionen sind weithin bekannt und akzeptiert – und sie vergehen spätestens nach ein paar Monaten. Es gibt aber noch ein unbekannteres Phänomen: Manche Frauen hadern jahrelang mit ihrem Schicksal als Mutter, sie bereuen es, ein Kind zu haben. Franziska Burkhardt ist eine von ihnen – und sie ist damit an die Öffentlichkeit gegangen.

Text Philip Artelt

Eine junge Frau, gescheitertes Studium, in eine Beziehung gestürzt, „Grenzenlosigkeit mit mir und meinem Körper“: Sie wird schwanger, bekommt ein Kind, ungeplant zwar, aber doch eigentlich so, wie sie es wollte; bis 30 wollte sie Mutter werden, aber bitte nicht später. „Ich weiß nicht, warum ich diese Vorstellung hatte“, sagt sie heute. 

Wenn Franziska Burkhardt, inzwischen 38 Jahre alt, diese Zeit vor einem Jahrzehnt beschreibt, zieht sie einen hinein in ihr inneres Chaos. Eine Verlorene in ihrer Welt. Alles Hals über Kopf irgendwie, aber auch eine Zeit der Hoffnung: Die Pläne, mit dem Vater zusammenzuziehen, wie der Vater das aber nicht wollte, wie er eigentlich gar kein Kind haben wollte. Er könne das nicht, soll er gesagt haben. 

Burkhardt liebte ja Kinder, hatte zuvor sogar auf Lehramt studiert – und stand jetzt da, alleingelassen mit dem Baby und völlig überfordert, wie ihr im Rückblick klargeworden ist. Dennoch war sie auch im Glauben, dass am Ende alles gut wird, dass der Traum von Geborgenheit, von der heilen Kleinfamilie doch noch wahr wird. Ein paar Jahre ging das so, und schließlich, 2015, wurde ihr bewusst: Ich bereue es, Mutter zu sein. 

Regretting Motherhood heißt das Phänomen, das ungefähr zur selben Zeit größere Aufmerksamkeit in der Wissenschaft und der feministischen Szene bekommen hat. Geprägt hat den Begriff die israelische Sozialwissenschaftlerin Orna Donath. Ausgerechnet ihr Interview in einer deutschen Zeitung, erinnert sie sich, habe damals einen Flächenbrand entzündet. 

Tatsächlich erleben wohl alle Eltern schwierige Phasen. Einer Studie von YouGov zufolge bereuen etwa 20 Prozent der Eltern, ein Kind bekommen zu haben. Wissenschaftlerin Donath hat zahlreiche Frauen zu dem Thema befragt. Sogar Großmütter würden noch bereuen, lange, nachdem die Kinder aus dem Haus sind, ebenso wie Väter, die weniger in die Erziehung involviert sind. 

„Es ist eine Frage des Bewusstseins“, folgert Donath, man sei eben lebenslang Mutter oder Vater. „Die Mütter, die ich befragt habe, haben ihre Kinder geliebt, aber sie haben es gehasst, Mutter zu sein“, sagt sie und bestätigt damit die Erfahrung von Franziska Burkhardt. Für sie ist Reue ein Zeichen von Überforderung: „Das Kind stört mich, es stört mich, dass es gerade da ist. Diese Erfahrung machen viele Eltern. Niemand kann mir erzählen, dass man nie solche Gedanken hat.“ 

Burkhardt sieht die Gründe in einer „kinderunfreundlichen Gesellschaft“. Kinder würden im Alltag oft als Störfaktor wahrgenommen, das belastet auch die Eltern. Und manchen wird es dann einfach zu viel. Wenn das Kind nur noch stört, wenn es so gar nicht ins eigene Leben passt, gehen Mütter daran zugrunde. 

Franziska Burkhardt hat sich Hilfe geholt. In der akuten Phase war sie in psychiatrischer Behandlung. Und sie hat sich selbst geholfen: Sie hat trotz Kind, trotz all dem Stress, ein Kunststudium absolviert. Inzwischen verarbeitet sie ihre Gefühle in künstlerischen Performances, in denen sie deutschlandweit auf das Thema aufmerksam macht und anderen Betroffenen zeigt: Ihr seid nicht alleine. Vor allem hat sie gelernt, sich um sich selbst zu kümmern, sich Freiräume zu schaffen, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. 

Burkhardt klingt heute nicht mehr so, als würde sie bereuen. Zwar ist sie immer noch überzeugt, das Patriarchat, die Dominanz der Männer in unserer Gesellschaft, sei für Probleme wie das ihre mitverantwortlich. Ihre kämpferische Phase hat sie aber hinter sich. „Das macht müde und einsam“, sagt sie. Stattdessen versucht sie, die Männer zu verstehen, sucht Erklärungen dafür, warum Väter ihre Partnerinnen mit einem Kind alleine lassen. Auch den Vater ihres Kindes versteht sie heute besser: „Er hat eine persönliche Geschichte“, sagt sie, seine Strategie sei gewesen, wegzugehen. 

Tochter Martha* kommt jetzt in die Pubertät, eine anstrengende Zeit. Aber Franziska Burkhardt freut sich inzwischen über ihr Kind. Sie freut sich, wenn ihre Tochter ihr schreibt, was für eine tolle Mama sie doch ist. 

Letztens hat Martha Mama Franziska gegoogelt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auf die vielen Artikel im Internet stößt, in denen ihre Mutter die Jahre voller Reue und Leid beschreibt. Wird sich Martha dann wie ein ungewolltes Kind fühlen? „Ich werde ihr meine Geschichte erzählen, so, wie meine Oma über ihre Kriegserfahrung erzählt hat“, sagt Burkhardt. Martha sei reflektiert, sie werde damit klarkommen. Und fragt man Burkhardt heute, ob sie sich noch ein zweites Kind vorstellen könnte, antwortet sie manchmal sogar „ja“. Aber nur manchmal.

*Name v.d. Red. geändert

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