Mit 80 Tagen um die Welt

Reisen mit Kindern
Michael Runkel Photography

Helikoptern, Samthandschuhe, Dauerbetreuung? Für Samantha und Michael Runkel aus Nürnberg weitestgehend unbekannt. Die Eltern von zwei Kindern haben ein außergewöhnliches Leben, das sie an die entlegensten Ecken der Erde führt.

Most travelled People

Ein kleines Reihenhäuschen im Osten Nürnbergs. Papa, Mama, Sia und Luca, Arbeit, Kita, Schule, Zimmer aufräumen. Alles superdurchschnittlich – wäre der Fotograf Michael Runkel nicht einer der meistgereisten Menschen der Welt, den auf seinen Expeditionen seit 2011 nicht nur seine Frau Samantha begleitet, wann immer es geht, sondern mittlerweile auch die heute 7 und 3 Jahre alten Kinder. Von den 193 von den Vereinten Nationen (UNO) anerkannten Ländern hat Michael Runkel alle bereist, von den weltweit 1301 sogenannten Provinzen 1228.
Oder anders: Die weißen Fleckchen auf Runkels Weltkarte lassen sich an einer Hand abzählen. Hier geht’s aber nicht um das Abarbeiten einer Liste, sondern vielmehr darum, Land, Leute und Kultur wirklich kennenzulernen. Nur so können die fantastischen Fotografien entstehen, mit denen Michael Runkel berühmt geworden ist. Und nur so können Momente und Begegnungen entstehen, die den Horizont eines Menschen um unbezahlbare Erfahrungen reicher machen.

Sehen, wie die Welt ist

Erfahrungen, die Michael und Samantha, eine US-amerikanische Popsängerin, die ihren Mann einst auf einem arktischen Eisbrecher kennenlernte, ihren Kindern von klein auf ermöglichen wollen, weil „sie sehen sollen, wie die Welt ist und wie sie sein kann“. Die erste Weltreise machte Töchterchen Sia mit wenigen Monaten – eine Entscheidung, die für so manches Unverständnis im Umfeld der Runkels sorgte. „Dabei“, erzählt Samantha und lacht, „ist das das perfekte Alter: Das Baby braucht nichts außer Essen, und das hat man beim Stillen immer dabei. Windeln gibt es beinahe überall – und wo es keine gibt, ist das eben ganz normal.“

Loslassen. Erfahrungen sammeln

Normalität, was bedeutet das heutzutage in unserem Lebensraum? Feste Schlaf- und Essenszeiten. Beschützen, wo es nur geht, hyperaufmerksam und auf alle denkbaren und undenkbaren Eventualitäten vorbereitet, „zu viel Aufregung um nichts“, sagt Michael Runkel, und dass die „German Angst“ größer zu werden scheint, je mehr wir uns an unseren ultrahohen Lebensstandard gewöhnen. Die Kinder der Runkels haben feste Strukturen und die Basisstation Nürnberg, haben ihre Wurzeln und ein vertrautes, sicheres Umfeld hier, „das ist wichtig, sonst geht man verloren“, weiß Michael Runkel aus eigener Erfahrung nur zu gut. Darüber hinaus aber versuchen die Eltern, ihre Kinder zu größtmöglicher Selbstständigkeit zu erziehen. Lockerlassen, Loslassen. „Je mehr Erfahrungen du in der Kindheit sammelst, desto leichter hast du es später im Leben“, sagt der 53-Jährige. „Ich denke, dass das die bessere Form des Beschützens ist als das oft übliche Leben in der Glaskugel.“ Andererseits, so Runkel, „können wir es vollkommen nachvollziehen, wenn Menschen hier so vorsichtig agieren, da natürlich die Medien einen großen Einfluss auf die Einstellungen haben.“

Locker lassen

Wie sicher unsere behütete Welt ist, wie gut wie es haben und wie schwer wir es uns oft machen, erkennt man allerdings oft erst, wenn man das Gewohnte verlässt und aus der Ferne draufschaut. „Dass man hier beispielsweise einfach zur Schule laufen kann, ist so lebenswert“, sagt Samantha (44). „Bei meiner Verwandtschaft in Brooklyn ist es so gefährlich, dass dir schwindelig wird. Da komme sogar ich mir spießig vor.“ Freilich ist fraglich, so Michael Runkel, woran die Kinder sich später noch erinnern können. Aus der Zeit als Baby – sicher nichts. Aber „bei Sia ist es so, dass sie sich, seitdem sie 4 oder 5 Jahre alt war, an die Reisen und Erlebnisse erinnern kann. Doch darum geht es nicht. Sondern um die Begegnungen, die Erfahrungen, das Neue, Andere.

Selbständigkeit

Sia und Luca „machen alles selbstständig, was sie machen können“, werden so bald wie möglich alleine zur Schule gehen, zum Sport, spielen draußen ohne Eltern – und im Amazonas-Dschungel mit den Eingeborenen, finden Freunde am Nordkap und werden im Flugzeug schon mal durchgereicht, weil die Freude über die milchweißen Kinder so groß ist. Und die Eltern? „Die Kinder sind das alles gewohnt – und auch, dass wir immer locker und entspannt sind“, sagt Michael Runkel, der überzeugt ist, dass „wir Eltern uns was vormachen und unsere Ängste auf die Kinder transferieren“. Der Mensch, so Runkel, vor allem auch Kinder sind „so viel belastbarer, als die meisten denken.“

ein weiter Blick auf die Welt

Samantha und Michael wissen: Kinder überall auf der Welt leben mit so viel weniger, „bei den ganzen Gimmicks und Angeboten für Kinderzubehör muss ich lachen.“ Runkels wollen nicht urteilen über andere Eltern, nicht werten, nichts besser machen. Aber ihr weiter Blick auf die Welt hat die Sicht geändert. „Frauen überall auf der Welt tragen ihre Babys den ganzen Tag auf dem Rücken und verrichten dabei teils schwere Arbeit“, hat Samantha erlebt. Dass Kleinkinder hier zu exakten Zeiten zu Bett gebracht werden müssen, fällt da schwer zu verstehen. Dass Sia und Luca ein privilegiertes Leben führen, wissen die Eltern. Aber vor allem, dass ihnen in der heutigen Zeit mehr denn je daran gelegen ist, ihre Kinder robust und widerstandsfähig werden zu lassen – „damit sie dann nicht plötzlich in einer Welt stehen, die viel zu viel für sie ist“.

Text: Katharina Wasmeier

Mehr von Michael Runkel findet ihr unter michaelrunkel.com

Samantha Runkel schreibt unter heyterra.travel über nachhaltiges Reisen mit Kindern.

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