Maternal Gatekeeping

Ist Mutti die Beste?
Eltern bei der Babypflege

Wie heißt es doch so schön: Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr. Noch schwerer wird’s, wenn er nicht der Vater sein darf, der er gerne sein möchte. Wenn die Mutter sich als einzig wahre Expertin in Sachen Kind sieht und ihren Partner in Betreuungsfragen ausgrenzt – Stichwort Maternal Gatekeeping. Was steckt hinter dem Phänomen?

Was ist Maternal Gatekeeping?

Wo immer das Thema Maternal Gatekeeping in den Medien aufploppt, geht es in den Kommentarspalten hoch her. Als der Sender „zdf neo“ vor kurzem in einem Instagram-Post in diesem Zusammenhang die Frage stellte, ob oder warum manche Mütter ungern die Kontrolle abgeben, hagelte es von Frauen Begriffe wie „Männerrechtlermüll“ oder „antifeministisches Narrativ“. Eine Userin schrieb: „Vätern wird ein Freifahrtschein ausgehändigt, da sie ja vermeintlich nichts dafür können, dass sie ihren Teil nicht übernehmen dürfen.“ Andere reflektierten selbstkritisch: „Er würde … aber dies und das ist dann nicht genauso wie ich es mir vorstelle, und dann mache ich es lieber selbst.“

Die Vaterrolle

Auch einige Männer meldeten sich zu Wort: „Die ersten Jahre musste ich mir das Vertrauen hart erarbeiten“, erzählte einer, ein anderer meinte: „Ich weiß, dass mehr Väter Verantwortung übernehmen wollen, als man denkt.“ Ein heißes Eisen. Matthias Becker kennt die oft hoch emotionalen Diskussionen dazu. Der Diplom-Sozialpädagoge ist seit 2016 Ansprechpartner und Sprachrohr für Männer bei der Stadt Nürnberg, ein Beratungsangebot auch für Bürger, angesiedelt in der Gleichstellungsstelle. Bei ihm schlagen männliche Fragen und Sorgen unterschiedlichster Couleur auf, unter anderem auch Probleme von Vätern, die nach der Geburt durch die Partnerin von ihrem Kind abgegrenzt werden. „Es gibt da viele Schattierungen“, sagt Becker. „Ich habe erlebt, dass Männer das Gefühl haben, nichts allein machen zu können, weil die Mutter immer dabei ist. Oder dass Mütter zwar mal ein Wochenende mit Freundinnen wegfahren, aber für daheim vorab alles planen, Listen schreiben und dann noch die Schwiegermutter vorbeischicken. Das geht so weit bis zu: Ich lasse niemanden an mein Kind heran.“

Die Mutter als Türsteherin des Kinderzimmers

Wie häufig und warum Frauen zu Türsteherinnen vorm Kinderzimmer werden, wird seit rund 20 Jahren wissenschaftlich erforscht. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass bis zu 25 Prozent aller frischgebackenen Mütter solche Verhaltensmuster entwickeln – meist nach der Geburt des ersten Kindes. Wobei diese Zahl auch kritisch zu sehen ist, da es keine klar festgelegte Definition für Maternal Gatekeeping gibt. Die Ausprägungen sind unterschiedlich, ebenso wie die Ursachen. Manche Forscher gehen von einem mangelnden Selbstwertgefühl aus, das durch eine enge Mutter-Kind-Bindung kompensiert wird. Andere sehen verinnerlichte klassische Rollenbilder als möglichen Grund: Hat die Frau die eigene Mutter als alleinige Kümmerin in der Familie erlebt, übernimmt sie diesen Part oft unbewusst. Manche, die eine Jobpause für die Kinderbetreuung machen, sind insgeheim unzufrieden mit der Situation, frustriert oder gar neidisch auf den Mann, der beruflich nicht ausgebremst wird. Sie schaffen sich als selbsternannte Kinderexpertin dann einen neuen Kompetenzbereich, aus dem sie Bestätigung ziehen und den sie ungern teilen. Sie halten den Mann auf Abstand zum Kind, trauen ihm nichts zu, und recht machen kann er es ihnen schon gar nicht – egal, was und wie er‘s versucht. Die weibliche Argumentation: Sie wüsste es schließlich am besten, weil sie die meiste Zeit mit dem Nachwuchs verbringt.

Welche Lösungen gibt es?

Was macht das mit einem Papa? Seine Unsicherheit wächst, je weniger Chancen er bekommt, in die Vaterrolle hineinzuwachsen. Er resigniert irgendwann und zieht sich zurück, sagt Matthias Becker. „Je länger er nicht rankommt, umso schwieriger wird der Kontakt.“ Eine Bindung zwischen Vater und Kind könne so nur schwer entstehen. Das Kind erlebt die Eltern nicht als gleichberechtigte Partner und wächst mit überholten Geschlechtervorstellungen auf, was sich wiederum auf seine späteren Beziehungen auswirken kann. Wie kommt man raus aus diesem Teufelskreis, beziehungsweise gar nicht erst rein? Reden wäre ein Anfang. Schon vor der Geburt sollte man klären: Wer möchte wie lange zu Hause bleiben, wie teilt man sich die Kinderbetreuung, den Haushalt, was ist jedem wichtig bei der Erziehung?

klassische Rollenverteilung

Matthias Becker: „Heute haben Männer mehr den Wunsch, Kinder aufwachsen zu sehen. Sie wollen sich mehr Zeit für die Familie nehmen, das wird sehr oft geäußert.“ Trotzdem hätten sie, was die Elternzeit betrifft, meist nur die obligatorischen zwei Monate im Kopf. Zudem stellt der Berater fest: Bei der Frage, wer primär zu Hause bleibt, gehe es selbst bei Paaren, die gleiche Qualifikationen und Verdienstmöglichkeiten haben, häufig automatisch in die traditionelle Der-Vater-ist-der-Familien-Ernährer-Schiene. Die klassische Rollenverteilung hat also nicht ausschließlich finanzielle Gründe. „Ich würde sagen, es ist anders: In der ganzen Entwicklung von Jungen und Männern wird Fürsorgearbeit nach wie vor weder gefordert noch gefördert“, meint Matthias Becker. Das gehe schon im Kindergarten los und ziehe sich, bewusst und unbewusst, durch alle Lebensphasen. Parallel wird Mädchen der fürsorgliche Part meist automatisch zugeordnet.

Kleiner Sidekick: Bis vor wenigen Jahren wurde im Duden Vaterliebe schlicht als „die Liebe eines Vaters zu seinem Kind“ definiert, währen beim Pendant Mutterliebe zusätzlich die zwei Adjektive „fürsorglich“ und „opferbereit“ ergänzt waren. Nachvollziehbar, weshalb viele werdende Väter große Unsicherheiten in Bezug auf Care-Tätigkeiten verspüren und sich selbst wenig zutrauen. „Es bräuchte mehr Angebote, etwa Geburtsvorbereitungskurse für Väter, auch welche, in denen sie unter sich sind. Diese wären sicher ausgebucht“, findet Becker.

Den Papa machen lassen

Was man nicht vergessen darf: Auch junge Mamas sind unsicher, stehen unter gesellschaftlichem Druck und wollen ihre Sache gut machen. Vielleicht reagieren sie deshalb so empfindlich, wenn der Vorwurf kommt, eine mütterliche Türsteherin zu sein. Und ja, es kommt sicher vor, dass Männer dies als „Freifahrtschein“ nutzen und sich zurücklehnen. Natürlich haben Frauen tatsächlich oft einen Wissensvorsprung, wenn sie sich hauptsächlich um den Nachwuchs kümmern. Sie kennen die Tages-Wehwehchen, das Einschlafritual, die Lieblingsstofftiere. „Die Männer brauchen da mehr Transfer“, empfiehlt Matthias Becker. Aber zwischen Wissen weitergeben und Bevormunden („Nein, so darfst du den Body auf keinen Fall anziehen!“) ist ein himmelweiter Unterschied. Und: Ist es am Ende nicht wurscht, wie der Body angezogen wurde? Bedeutet anders automatisch schlechter? Wenn wir ehrlich sind, müssen doch beide – Papa und Mama – erst lernen, wie man Windeln wechselt oder Blähungen lindert. Wahrer Kinder-Experte wird man durchs Machen(lassen).

Aktuell gibt es eine EU-Richtlinie, die gleich nach der Geburt eines Kindes zehn Tage bezahlte Vaterschaftsfreistellung vorsieht. Obwohl sie im Koalitionsvertrag steht, wurde sie in Deutschland bislang noch nicht umgesetzt. Matthias Becker ist überzeugt: „Dies wäre eine Chance, damit Paare gemeinsam reinfinden, einen gleichwertigen Start bekommen könnten. Und vor allem auch ein geeigneter Schritt, eine frühe Vater-Kind-Bindung und eine stärkere Beteiligung von Vätern an der Sorgearbeit in der Familie zu fördern.“

Anlaufstelle für Männer der Stadt Nürnberg nuernberg.de/internet/frauenbeauftragte/maenner.htmlBundesweit Beratungs- und Unterstützungsangebote für Jungen, Männer und Väter finden: maennerberatungsnetz.de

Text: Manuela Prill, ELMA #17 August/September 2022

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