Gibt es den perfekten Altersabtand?
Gibt es den perfekten Altersabstand? Nein, den gibt es nicht. Den kann es nämlich gar nicht geben. Denn wir kommen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten auf die Welt, reagieren also auch anders auf Situationen. Und selbst, wenn es ihn gäbe, so wären wir sowieso nur in seltenen Fällen in der Lage, ihn bewusst herbeizuführen. Denn wie heißt es so schön: Während wir Pläne machen, fällt das Schicksal lachend vom Stuhl.
Das sagt die Statistik
Beruflich etwas erreicht, ein Zuhause geschaffen mit Platz für 1,59 Kinder, gestartet wird mit Anfang 30 – nämlich dann, wenn die Zahl der Mitstreiter statistisch am größten ist. Ist das Kind aus dem Gröbsten raus, machen wir uns an das zweite. Damit es pünktlich drei Jahre nach Geburt des ersten da ist – allgemein gilt das nämlich als der optimale Altersabstand. Klingt gut, ist aber genauso nur Theorie wie vieles, das man zu diesem Thema nachlesen kann. Natürlich sind die Anzahl der Kinder und der Abstand der einzelnen Geschwister zueinander wichtige Faktoren im Leben. Aber letztendlich hat jeder Altersabstand zwischen Geschwistern seine Vor- und Nachteile.
Zwei Babys oder große Vorbilder?
Kaum verwunderlich ist, dass sich Eltern eher nicht bewusst für einen Abstand von weniger als einem Jahr entscheiden. Neugeborene, die höchstens zwei Jahre von ihrem Geschwisterchen entfernt sind, sind aber schon in guter Gesellschaft: 18 Prozent. Natürlich sind zwei Babys auf einmal anstrengend. Aber sie wachsen gemeinsam auf, es ist leicht, ihre Interessen unter einen Hut zu bringen. Ganz gut geht das auch noch mit einem Abstand von zwei bis zweieinhalb Jahren, Eifersucht ist hier meist noch kein großes Thema, ein bisschen Konkurrenz aber schon. Ab drei, vier Jahren Altersunterschied wird es schon wahrscheinlicher, dass sich jemand vom Thron gestoßen fühlt.
Zwei verschiedene Einrichtungen, völlig unterschiedliche Entwicklungsschritte, und je mehr Jahre Abstand dazu kommen, desto mehr wachsen die Kinder angeblich zumindest wie zwei Einzelkinder auf. Könnte aber eben auch ganz anders laufen. Denn oft sind die Großen stolz, miteinbezogen zu werden, den Kleinen etwas zeigen zu können, und die Kleineren vergöttern die Älteren, finden hier zusätzlich Schutz und Geborgenheit – und auch die Möglichkeit zur Reibung. Die Großen gelten als cool, haben Ahnung und sind Vorbilder. Vorausgesetzt, wir Eltern geben ein bisschen Territorium ab an unsere familieninternen Insider. Der Entwicklungspsychologe Hartmut Kasten erwähnt in diesem Zusammenhang in seinem Buch „Geschwister“, dass in anderen Kulturen ganz selbstverständlich die Älteren den Jüngeren etwas beibringen. „Gerade Situationen, in denen die jüngeren Kinder mit dem Können und der Überlegenheit der älteren direkt konfrontiert werden, erweisen sich pädagogisch als wirkungsvoll. Sie bringen die Kinder dazu, von sich aus Vergleiche anzustellen […] und sich die wesentlichen Unterschiede einzuprägen.“
Geschwisterstreit gehört immer dazu, egal, wie weit sie auseinander sind. Er fördert soziales Verhalten – schließlich kündigen einem Schwestern und Brüder nicht gleich die Freundschaft. Wichtig ist, wie die Eltern damit umgehen. Machen sie es richtig, dann sind sie fair. Und das bedeutet nicht, alle gleich zu behandeln – das wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil selbst Zwillinge nicht gleich sind. Besser ist es, auf Vergleiche zu verzichten und den einen nicht gegen den anderen auszuspielen, Verantwortung bedacht zu verteilen und jeden so zu nehmen, wie er ist – mit dem Blick aufs Positive. Dann werden Geschwister später einmal ziemlich sicher zusammenhalten, wenn es notwendig wird.
die individuelle Familie
Wir sollten uns nicht verrückt machen lassen von den Erwartungen anderer, von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die bisweilen keine allzu hohe Halbwertszeit haben, oder von den Vorstellungen, wie etwas zu sein hat. Wir selbst müssen bereit dafür sein, wieder ein Kind in die Familie aufzunehmen, wir selbst müssen wissen, ob wir es schaffen, wieder rund um die Uhr für ein Baby da zu sein. Wobei es – und das soll hier auch nicht unerwähnt bleiben –, wenn es einfach passiert, auch klappen wird, und vielleicht besser als bei jedem Plan. Und wenn wir selbst das nächste Kind ganz selbstverständlich in Empfang nehmen, dann werden das die Geschwister auch tun. Ganz egal, wie groß der Altersabstand ist.
Text: Simone Blaß