Aussortiert?

Übertritt in Bayern
Übertritt in Bayern

Unsere neue Rubrik "Erwachsen werden" richtet den Blick auf Kinder, die gerade Teenes werden und Jugendliche auf dem Sprung zum Erwachsen sein.

Bundesweit gibt es über 15.500 Grundschulen, und an jeder dreht sich in der vierten Klasse alles darum, wie es weitergehen soll. In Bayern sind die Noten ausschlaggebend, und zwar die in Mathematik, Deutsch sowie Heimat- und Sachunterricht. Mehr als 100.000 Viertklässler müssen teilweise unter ziemlichem Druck rund 20 Proben schreiben, bis sie im Mai ihr Übertrittszeugnis in die Hand gedrückt bekommen. Das dann darüber entscheidet, welche Türen sich öffnen.

Einsortieren oder Aussortieren?

Jeder gute Schulabschluss ermöglicht im Prinzip den nächsten. Oder wie es der ehemalige Kultusminister Bernd Sibler formulierte: „Jeder Abschluss ein Anschluss.“ Das Schulsystem ist durchlässiger geworden, und Mittelschule kann letztendlich auch Abitur bedeuten. Trotzdem: Eine Entscheidung muss getroffen werden – zusammengesetzt aus Notendurchschnitt, Lehrerempfehlung und ein bisschen auch dem Elternwillen in Kombination mit der Option Probeunterricht. Und diese Entscheidung fühlt sich nicht selten an wie ein „Aussortieren“. Horrorgeschichten kursieren in den Foren, und in manchen Klassen scheint der Druck enorm – stark abhängig vom Lehrer, den Eltern und den Mitschülern. 

Übertritt in der 4. Klasse zu früh?

Viele halten inzwischen die Schülertrennung nach der vierten Klasse für nicht optimal. „Wenn man wie hier in Bayern an der Idee der differenzierten Bildungswege festhalten möchte, dann wäre ein Wechsel nach der 6. Klasse aus meiner Sicht sinnvoller.“ Pfarrer Mark Meinhard weiß, wovon er spricht. Er ist Leitender Direktor der Nürnberger Wilhelm-Löhe-Schule, einer Evangelischen Kooperativen Gesamtschule, die unter anderem sowohl Mittel- und Realschule als auch Gymnasium beinhaltet und die größte ihrer Art in ganz Deutschland ist. „Natürlich gibt es immer Kinder, bei denen sehr früh und sehr klar gesagt werden kann, für welche der drei Schularten sie am besten geeignet sind. Aber bei vielen Kindern ist dies eben am Ende der 4. Klasse noch nicht so eindeutig. Unser Schulsystem ist in weiten Bereichen noch zu sehr darauf konzentriert, gelerntes Wissen wieder abzufragen.“ 

Dem Kind vertrauen

Der vierfache Vater ist davon überzeugt, dass wir auch beim Übertritt den Blick viel mehr auf den Kindern als auf den Noten haben sollten. „Ich wünschte, Eltern würden mehr das zu fördern bereit sein, was für ihre Kinder gut ist.“ Und Vertrauen haben. Denn oft wissen die Kinder selbst schon ziemlich genau, wo sie hinmöchten. Dabei hilft auch, sich die infrage kommenden Schulen gemeinsam anzusehen und die Kinder hineinspüren zu lassen – auch in Schulen, die für uns als Eltern vielleicht nicht die erste Wahl wären. Ein angstfreier Raum zum Lernen, ein Bereich, in dem das Kind sich gut entwickeln kann – das ist entscheidend. Genau wie eine Lernform, die passt – eher theoretischer oder eher praktischer. 

Welche Schulart ist die Richtige?

Schon laut Gesetz hat jeder Einzelne das Recht auf eine „seinen erkennbaren Fähigkeiten angepasste Ausbildung“. Das funktioniert aber schon allein deswegen nicht, weil es zahlreiche Eltern gibt, die sich entweder scheuen, ihr dafür bestens geeignetes Kind aufs Gymnasium zu geben, weil es ihnen an Berührungspunkten fehlt und sie fürchten, es nicht entsprechend unterstützen zu können, oder die das unbedingt möchten, weil sie es fast schon als persönliche Schande empfinden, wenn ihr Nachwuchs nicht mit zielstrebigen Schritten Richtung Universitätsabschluss marschiert – unter  anderem auch abhängig davon, wo in Bayern man lebt. „Es sind etliche Kinder auf dem Gymnasium, die dort eigentlich nicht sein sollten. Sie quälen sich durch die gymnasiale Struktur, ohne Freude am Lernen und am Wissen zu entwickeln.“ 

Mittelschule - woher kommt der schlechte Ruf?

Ein Problem sieht Mark Meinhard auch darin, dass die Mittelschule heute oft keinen guten Ruf mehr hat. Viele Eltern sorgen sich um das soziale Umfeld. „Es ist ein Drama, dass Deutschland so wenig Geld für seine Bildung ausgibt, es bräuchte viel mehr Personal vor Ort, um die vielfältigen Aufgaben besser schultern zu können: Sozialarbeiter, Teamlehrkräfte etc. Nur so können wir auch die notwendige integrative Arbeit schaffen. Die Mittelschule war mal im realen Wortsinn die Hauptschule. Davon ist sie heute weit entfernt, und das ist schade, denn hier wird gute Arbeit geleistet.“ 

Wichtig sei, das Kind richtig auf die weiterführende Schule vorzubereiten. Egal, welche Schulform. Denn, so seine Erfahrung, selbst grundlegende Faktoren wie gemeinsam die Büchertasche packen, beim Vorbereiten helfen, abfragen oder sogar das Kind pünktlich in die Schule schicken haben in den letzten Jahren stark abgenommen.  Genau wie das Vertrauen in die Institution Schule. Die Autoren einer repräsentativen Forsa-Umfrage fassen ihre Ergebnisse gar so zusammen: Unser Bildungssystem steckt in einer dramatischen Vertrauenskrise – vor allem was die Notenvergabe angeht. Eine schlechte Voraussetzung für 2,33 oder 2,66.  

Wo finden Eltern bei Unsicherheit Hilfe?

Eine Übersicht über die Schulen der Regioin bauen wir gerade auf. Hier findet ihr den aktuellen Stand mit den Terminen der Infoveranstaltungen.
Es gibt eine Staatliche Schulberatungsstelle in jedem Bezirk. Sie ist besetzt mit zentralen Beratungslehrkräften, Schulpsychologinnen und Schulpsychologen aus den verschiedenen Schularten. https://www.km.bayern.de/ministerium/institutionen/schulberatung/mittelfranken.html

Text: Simone Blaß

 

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