Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen ...
Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen fliegen Fliegen Fliegen nach
Wenn über den Wolken die Freiheit wohl grenzenlos sein muss, dann möchte der Mensch selbstverständlich eins: sofort dorthin. Leider hat er hier rein physiologisch das Nachsehen, weswegen ihn andere Spezies schadenfroh belächeln. Doch während der Mensch sich abrackert, selbst in die Lüfte zu steigen, blickt er den einen sehnsuchtsvoll nach – und versucht von den anderen möglichst viele zu erschlagen. Warum?
50 Millionen Jahre Fliegen auf Erden
Zwei Flügel, sechs Beine, riesige schimmernde Facettenaugen und nie enden wollender Appetit – Fliegen dürften schon den Dinos gehörig auf die Nerven gegangen sein. Die ältesten in Bernstein konservierten sogenannten „Zweiflügler“ datieren auf die Kreidezeit, also vor ca. 99 Millionen Jahren, gelebt haben dürften sie jedoch schon wesentlich früher, nämlich seit dem Karbon vor 320 Millionen Jahren – und sind damit wahrscheinlich schon den Fressfeinden zum Opfer gefallen, die auch heute noch am liebsten Jagd auf sie machen: nach gemächlichen 50 Millionen Jahren hatte es die Evolution bewerkstelligt, aus riesengroßen, zentnerschweren Dinosauriern gefiederte Leichtgewichte zu machen. Aus dem Urzeitvogel Archaeopteryx (Oberjura, ca. 150 Millionen Jahre), der übrigens 1860 in der Fränkischen Alb und damit ganz in der Nähe entdeckt wurde und der erstmals eine federartige Struktur aufweist, entwickelten sich im Lauf der Zeit knapp 11 000 sogenannte „rezente“ Vogelarten – also solche, die aus unserer geologischen Gegenwart bekannt sind: dem Holozän, das allerdings auch schon vor 12 000 Jahren begonnen hat und das allein in Deutschland aktuell ca. 5000 unterschiedliche Fliegenarten beheimatet.
Der Mensch versucht zu Fliegen
Damit haben beide, Fliegen wie Vögel, dem Menschen schon mal gewaltig was voraus, denn von der Gattung Homo gibt es nur eine einzige rezente Art: uns. Laufen, mit den Händen arbeiten, sprechen und denken – aber fliegen? Keine Chance. Doch weil man bekanntermaßen immer das am liebsten möchte, was am schwersten zu erreichen ist, treibt den Menschen die Vorstellung vom Fliegen gleichermaßen zu Höchstleistungen wie allerlei fantastischen Ideen, die weltweit in Religionen, Kulturen und Mythologien zu finden sind.
So beispielsweise die der Römer, die ab etwa dem 5. Jh. v. Chr. damit anfingen, die Götterwelt der Griechen zu stibitzen und eigene Erzählungen hinzuzufügen. Hier fliegen regelmäßig die Götter durch die Lüfte – und das weckt Begehrlichkeiten. Wie im Mythos von „Dädalus und Ikarus“: Weil Vater und Sohn zu Maßregelungszwecken auf einer Insel festgehalten wurden, erfand Papa Dädalus kurzerhand Flügel für sich und seinen Sohn. Die Flucht ging erstmal gut, bis der Knabe übermütig immer höher und höher flog – und schließlich der Sonne so nah kam, dass das Gebilde aus Wachs und Federn zu schmelzen begann … Wie die Geschichte ausgeht, könnt ihr übrigens an der A6 kurz vor Regensburg entdecken. Bis die Flugversuche des Menschen ein gutes Ende nehmen, sollte noch einige Zeit vergehen.
Warum können wir nicht fliegen?
Doch warum gelingt Fliegen und Vögeln mit Leichtigkeit, was bei uns nie klappen wird? Erst einmal muss man sagen: Wir sind schlichtweg zu schwer. Wie weit es mit dem Fliegen her ist, wenn Gewicht und Fortbewegung nicht mehr richtig harmonieren, zeigen uns die wenig anmutigen Hopserläufe des Straußes, und selbst das dröhnende Luft-Durchpflügen von Schwänen sieht schon nicht mehr ganz so grazil aus. Gemeinhin betreiben Vögel sogenannten „aktiven Flug“, was bedeutet, dass man nicht nur auf Winden treibt, sondern selbst bestimmt, wo’s hingeht. Das können Vögel (und z. B. Fledermäuse), weil die Krümmung der Flügel ihnen ermöglicht, beim Abschlag Luft nach unten und damit sich selbst nach oben zu drücken und wie mit einer Schiffsschraube zu lenken. Als Kolibri schafft man so bis zu 80 Schläge pro Sekunde, als großer Vogel wie Seeadler oder Pelikan lässt man es energiesparender angehen und gleitet lieber auf dem Aufwind – eine Technik, die auch Zugvögel anwenden und so unglaubliche Strecken zurücklegen können: der längste je gemessene Nonstop-Flug einer Pfuhlschnepfe betrug 12 200 km in 224 Stunden. Nicht ganz so lang, aber immerhin einige Stunden legt der Albatros seine 3,5 m Spannweite in den Wind und schiebt dort eine ruhige Kugel.
Fluggeräte
Von solcher Gemütlichkeit können Fliegen nur träumen, denn hier wird gewedelt, was das Zeug hält. Wie bei den meisten Insekten verfügen sie über eine sogenannte „indirekte Flugmuskulatur“, was bedeutet, dass nicht die Flügel selbst bewegt werden, sondern der ganze kleine Panzerkörper in Bewegung ist, Muskeln kontrahiert und so die Flügel zum Schwingen bringt. Auf diese Art bringt es die Gemeine Stubenfliege auf bis zu 330 Schläge pro Sekunde, die sie auf bis zu 10 km/h katapultieren.
Was da alles so passieren muss, damit gefiederte oder gepanzerte Körper sich in die Luft erheben können, war dem Menschen ziemlich lang ein großes Rätsel. Obgleich Leonardo da Vinci, der berühmteste Universalgelehrte aller Zeiten, bereits 1505 im „Kodex über den Vogelflug“ schon recht exakte Skizzen anstellte und sogar einen ersten Helikopter konstruierte, spielte sich in den Köpfen der Menschen das Fliegen fast nur im Zusammenhang mit Elfen, Feen, Dämonen oder Hexenbesen ab, bis 1816 der Österreicher Jakob Degen ein erstes unbemanntes Hubschraubermodell 160 m in die Höhe steigen ließ. Ende des 19. Jh. gelangen viele Durchbrüche in kurzer Zeit: Otto Lilienthal, Gustav Weißkopf, die Gebrüder Wright – sie alle starteten nimmermüde halsbrecherische Versuche, die Schwerkraft zu überlisten und erst segelnd, schließlich motorisiert immer weitere Strecken zu überwinden. Doch während die Jahrtausend-Erfindung aus der gleichen Zeit, die nach ihrem Erfinder Ferdinand Graf von Zeppelin benannten „Starrluftschiffe“ Mitte des 20. Jh. wieder verschwanden, begann zeitgleich der Aufstieg der Flugzeuge. Schon 1912 startete der erste Luftpostverkehr in Deutschland.
Wie kann ein Flugzeug fliegen?
Was damals noch gemächlich, wacklig und höchstens in Zweierbesatzung möglich war, hat heute, nur rund 100 Jahre später, mit dem „Airbus A380“ ein vorläufiges Maximum erreicht: 73 m Länge, 560 Tonnen Startgewicht, 80 m Spannweite, 1185 km/h Höchstgeschwindigkeit und Platz für bis zu 853 Passagiere stemmte die A380 beim Erstflug 2005 in die Luft – Zahlen, bei denen einem schon mal mulmig werden kann. Aber warum zur Hölle fliegt so ein Ungetüm? „Auf ein Flugzeug wirken im Prinzip vier physikalische Kräfte ein: Die Schwerkraft zieht es nach unten, der Auftrieb wirkt nach oben und hält das Flugzeug in der Luft. Der Vortrieb bewegt das Flugzeug vorwärts, der Widerstand bremst es. Erst wenn der Auftrieb größer als die Schwerkraft ist, hebt das Flugzeug ab“, erklärt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR). Na, ist doch alles ganz einfach! Ganz ähnliche Prinzipien der Aero- und Thermodynamik machen sich Gleitsegeln, Gleitsegelfliegen, Gleitschirmfliegen oder Paragleiten zunutze, bei denen sich der Schirm mit Luft füllt und sich so in eine Tragfläche verwandelt. Ähnlich einfach: Der Heißluftballon fliegt, weil heiße Luft leichter ist als kalte. So richtig selbst fliegen kann der Mensch also nicht – und wird es auch nie können. Aber clever wie er ist, hat er sich ganz schön viele Möglichkeiten ausgedacht, dem Traum vom Fliegen und der grenzenlosen Freiheit über den Wolken ziemlich nahe zu kommen.
Warum mögen wir keine Fliegen?
Ach so: Warum mögen wir denn jetzt eigentlich keine Fliegen? Das hat wohl was mit der Natur der Insekten zu tun – und unserer eigenen. Fliegen halten sich am liebsten dort auf, wo Organisches zerfällt. Das können Komposthaufen sein, aber auch Toiletten oder Güllegruben. Hier helfen sie einerseits, den Unrat abzubauen, und legen andererseits ihre Eier gerne entweder dort ab oder auf unserem Grillfleisch, das wir unbeobachtet stehen gelassen haben. Für die Fliege ist das alles gleich. Und wir? Ekeln uns davor. Und ziehen auf der Jagd nach dem Tier meistens doch den Kürzeren.
Text: Katharina Wasmeier ELMA #16 Juni 2022