Waldorfschulen

In Liebe erziehen, in Freiheit entlassen
Waldschule

„Was, du warst auf der Waldorfschule? Da lernt man doch nur seinen Namen tanzen!“ Vorurteile über Waldorfschulen gibt es reichlich, aber ein genauerer Blick lohnt sich, denn hier wird vieles richtig gemacht, wovon sich Regelschulen etwas abschauen könnten. Von der 1. bis zur 13. Klasse dürfen die Schüler in ihrem Tempo lernen, und am Ende schreiben sie das Abitur, den Realschulabschluss oder den mittleren Bildungsabschluss – jeder, wie er will. 

Rudolf Steiner

Im Zentrum der Waldorfpädagogik steht der Leitsatz des Gründervaters Rudolf Steiner: „Kinder in Ehrfurcht aufnehmen, in Liebe erziehen, in Freiheit entlassen.“ In Waldorfschulen gibt es Regeln wie in anderen Schulen auch, aber es wird versucht, Kinder auf ihrem Weg individuell zu begleiten, so dass sie diesen am Ende frei wählen können. Die Lehrer und Eltern sollen den Kindern Vorbild sein und ihnen helfen, sich „daran aufzurichten“, wie es Anjeli Batra, die Geschäftsführerin der Freien Waldorfschule in Erlangen, formuliert. An Waldorfschulen kann man in 13 Schuljahren alle staatlichen Abschlüsse erwerben, aber noch viel mehr: Besonderer Wert wird auf die praktische Ausbildung gelegt. Die Schüler lernen gemeinsam Stricken, Nähen, haben in unterschiedlichen Jahrgangsstufen auch Unterricht in Ton- und Metallbearbeitung, Holzhandwerk, Steinbildhauerei und Gartenbau. Auch verschiedene Fachpraktika sind Teil der Schulbildung, wie zum Beispiel das Vermessungspraktikum, in dem auf die alte Art mit Winkelberechnung vermessen wird und die Schüler so gleich Mathematik in der Praxis anwenden.

Entdecken, wo eigene Neigung liegt

Alle Schüler machen ausnahmslos alles Handwerkliche. Denn: „Wenn man alles kennenlernt, kann man nachher leichter entscheiden, was einem gefällt und wo die eigenen Neigungen liegen“, erklärt Sabine Zäpfel. Sie ist die Klassenlehrerin der Klasse 6b an der Freien Waldorfschule Wendelstein und wird die Schüler noch zwei weitere Jahre als Klassenlehrerin begleiten. Von der ersten bis zur achten Jahrgangsstufe unterrichten Klassenlehrer ihre Schüler in der Regel. Es geht darum, dass die Schüler ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen können – die Lehrer sollen für die Schüler eine liebevolle Autorität sein, die sie anleitet, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten.

In der 6b in Wendelstein steht an diesem Montagmorgen im Herbst erst mal noch eine Übungseinheit Mathematik auf dem Themenplan. Doch bevor die Klasse damit beginnt, rezitieren alle zusammen den Morgenspruch. Er beginnt mit „Ich schaue in die Welt, In der die Sonne leuchtet, In der die Sterne funkeln“ – ein Lobpreis auf die Schöpfung, verbunden mit der Bitte um Segen: lyrisch, schön und konfessionsneutral. Er ist auf der Welt in allen Schulen gleich, übersetzt in die jeweilige Sprache – und verbindet so alle Waldorfschüler weltweit. Nach der Begrüßung dürfen die Schüler ein wenig von ihrem Wochenende erzählen und sich austauschen – das ist Sabine Zäpfel sehr wichtig, damit die Schüler wieder in der Schule ankommen können. Der anschließende Matheunterricht ist dann auch sehr spielerisch. Die noch stehenden Schüler dürfen sich erst setzen, wenn sie eine der Bruchrechenaufgaben richtig gelöst haben. Die Zahlen und Buchstaben auch mit allen Sinnen zu begreifen, ist ein Teil der Waldorfpädagogik. So werden die Buchstaben in der ersten Klasse unter anderem abgelaufen, geknetet oder gemalt, so dass die Schüler die Form verinnerlichen können, erklärt Anjeli Batra von der Waldorfschule Erlangen.

Epochenunterricht

An der Waldorfschule werden die Hauptfächer im Epochenunterricht gelehrt, bei dem die Schüler nicht stundenweise verschiedene Fächer haben, sondern ein Thema intensiv bearbeiten, bevor das nächste ansteht. Das heißt, dass die Schüler zum Beispiel drei Wochen lang intensiv Bruchrechnen üben, jeden Tag immer in den ersten zwei Stunden. Nach diesen drei Wochen wird ein anderes Thema eingeführt und drei Wochen lang behandelt, Kernthemen wie Mathematik und Schreiben werden mit Übungsaufgaben weiter vertieft.

An diesem Morgen will Sabine Zäpfel ein neues Thema beginnen. Es geht um den Wirtschaftskreislauf. Von der Selbstversorgungswirtschaft der frühen Menschen wird sie in den kommenden Wochen den Bogen schlagen zu unserem heutigen System der Geldwirtschaft. „Stellt euch vor, ihr lebt ganz einfach und würdet alles anbauen und erzeugen, von dem ihr lebt. Wie würde euer Haus aussehen?“ fragt sie ihre Schüler. Hier geht es darum, dass die Schüler erst einmal ihre Fantasie schweifen lassen, sie sollen ihr Haus malen und so kreativ begreifen, was es heißt, als Selbstversorger zu leben. Das Thema kann Sabine Zäpfel an diesem Vormittag nur anschneiden, denn nach der Pause gehen die Schüler zur Eurythmie.

Was ist Eurythmie?

Dieser Bewegungskunst, die für jeden Sprachlaut und jeden Ton eine bestimmte Gebärde definiert, verdankt die Waldorfschule ihr Klischee: so werden Musik oder Gedichte durch verschiedene Bewegungen ausgedrückt. Das mag seltsam anmuten, Anjeli Batra allerdings sagt: „Ich habe den Eindruck, dass die Kinder nach diesem Fach oft wieder ruhiger und mehr bei sich sind.“ Die Eurythmie entstammt der teils umstrittenen Anthroposophie Rudolf Steiners, die an den Schulen aber bewusst nicht gelehrt wird, denn: „Sie ist nichts für Kinder“ steht dazu klar im Flyer der Waldorfschule Wendelstein. Der wichtigste Leitgedanke in der Waldorfpädagogik ist schließlich auch: „Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen, in Liebe erziehen, in Freiheit entlassen. Ziel ist, dass die Kinder ihre eigene Persönlichkeit entfalten können, die Dinge hinterfragen und damit eine Freiheit in der Entscheidungsfähigkeit erwerben“, erklärt Anjeli Batra. Auch Sabine Zäpfel weiß: „Die ideale Schule gibt es nicht. Manche Kinder brauchen mehr Vorgaben, andere mehr Freiheit.“ Welcher Typ das eigene Kind ist, und wo es sich am wohlsten fühlt – diese Entscheidung müssen Eltern und Kinder letztlich selbst treffen – am besten gemeinsam.

Text: Viola De Geare

 

Waldorfschulen gibt es in der Region in Nürnberg, Erlangen und Wendelstein. Alle drei Schulen führen von der 1. bis zur 13. Klasse und bieten alle Schulabschlüsse an, die auch an Regelschulen möglich sind. Ein Übertritt an die Waldorfschule ist jederzeit möglich, auch Quereinsteiger sind willkommen.

Um sich über die Ausbildung an den Schulen zu informieren, werden Workshops, Infoabende und Tage der offenen Tür angeboten. Auf den Internetseiten der Schulen finden sich dazu ausführliche Informationen. Da die Waldorfschulen in privater Trägerschaft sind, werden Schulgebühren erhoben. Diese orientieren sich am Einkommen der Eltern, so dass der Grundgedanke, dass alle Kinder, egal welcher Herkunft, die gleiche Ausbildung genießen sollen, gewahrt bleibt.

Mehr Informationen:

waldorfschule-erlangen.de

waldorfschule-nuernberg.de

waldorfschule-wendelstein.de

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