Schneeballschlacht und Bäckertaufe

Rothenburg ob der Tauber
Rothenburg ob der Tauber, Reiterlesmarkt

Ihr wollt wissen, wo Weihnachten zu Hause ist, und habt keine Ahnung, wo ihr suchen sollt? Keine Bange, eure ELMA hilft: Unter den Koordinaten 49°22'36"N / 10°10'41"E findet ihr Weihnachten nicht nur im Dezember, sondern das ganze Jahr hindurch. Draußen mittelfränkisch rockende Hochsommerhitze, drinnen erzgebirgisch glitzernde Bratapfelbeschaulichkeit: In Rothenburg ob der Tauber ist alles möglich.

Ritterliches Rothenburg

Alles möglich und vor allem aber erstmal: alles ritterlich. Das ist zwar nur halbrichtig, sicher aber der erste Gedanke beim Anblick der mittelalterlichen Silhouette, und der ist ja meistens nicht ganz unbegründet. In diesem Fall begründet er sich auf der epochalen Stadtummauerung, die vielen bestimmt als Kulisse des nach dem außerordentlich malerischen Taubertal benannten Musikfests bekannt ist: Seit 1996 findet zu Fuße der historischen Altstadt das berühmte Festival statt. Wenn euch das lang her und ihr selbst euch jetzt alt vorkommt, dann lohnt es sich erst recht, die Eiswiese links und das Tal unter euch liegen zu lassen – und euch in einen Ausflug voller Verbrechen, rettender Besäufnisse und köstlicher Schneeballschlachten zu stürzen.

Schönste Altstadt Deutschlands

So kurios die Mischung klingt, so vielfältig ist die Kleinstadt im westlichsten Zipfel Mittelfrankens und der Metropolregion, die zentral auf der sogenannten „Romantischen Straße“ und damit der ältesten Ferienstraße Deutschlands liegt – nur ein Superlativ von vielen, wurde Rothenburgs historische Altstadt doch erst dieses Jahr als schönste in ganz Deutschland ausgezeichnet. Wer sich, auf eigener Achse oder einem der vielen vorbereiteten Erkundungswege innerhalb oder auf (!) der vier Kilometer langen, lustig geformten Stadtmauer (zum Vergleich: die Nürnberger Altstadtmauer misst nur einen Kilometer mehr), aufschwingt, diese Auszeichnung in Zweifel zu ziehen, wird schnell aufgeben. Zwar ist das gut 11.000 Einwohner kleine Städtchen schon sehr touristisch ausgerichtet, doch wer nicht grad auf Käthe-Wallfahrt ist, der findet hinter jeder steinernen Ecke, unter jedem Pflasterkopfstein gar Abenteuerliches.

Ein Märchendorf

Das liegt zum einen am sagenhaften Ausblick rings um die hügelige Stadt, die sich mitsamt ihren heimlichen Ecken, verwunschenen Gärten und epochalen Bauwerken behaglich auf unverstellte Landschaft bettet. Zum anderen am Fingerspitzengefühl, das die Stadtväter beim Nachkriegs-Wiederaufbau bewiesen und ihren Ort von modernistischen Brüchen verschont haben. Voilà: ein Märchendorf, wie es im Buche steht. Doch in jedem Märchen gibt es das Böse, und auch für diesen Abschnitt ist Rothenburg berühmt, beherbergt es doch in angemessen schaurigen Gewölben mit dem Mittelalterlichen Kriminalmuseum 1000 Jahre Rechtsgeschichte unter einem Dach und damit Europas größtes Museum zur Rechtskultur, das schon am Eingang mit Bäckerschupfen und Schandpfahl verrät, dass es drinnen wenig zimperlich zugeht – was sich aber gut einfügt in den Charakter einer Stadt, die es geschafft hat, ein im wahrsten Sinne historisches Besäufnis zum Kulturerbe weihen zu lassen.

Haltet die Augen offen, und ihr werdet zwischen riesenhaften Teddys und gewaltigen Nussknackern, Seifenblasen und den berühmten „Schneeballen“ (Mürbteigknödel mit allerlei Glasur) das Wort „Meistertrunk“ entdecken – und gleich dahinter Rothenburgs Weltstar: Das architektonische Ensemble „Plönlein“ findet sich nicht nur auf Fantastilliarden Postkarten, sondern auch individuell interpretiert als das mittelalterliche Motiv schlechthin in Filmen (Pinocchio, 1940), Videospielen (Tekken Tag Tournament 2, 2012) oder Musikvideos (Lil Dicky: Earth, 2019; Min. 4:00).

Rothenburger Märchenzauber

Die das romantische Bild komplettierenden Pferdekutschen sind zwar seit 2010 aus der Altstadt weitestgehend verbannt, doch während unterm Jahr fast nur mehr Verbotsschilder und Schleifspuren auf dem Pflaster an das frühere Geklapper erinnern, wird einmal jährlich im November auch dieses Märchen Wirklichkeit, nämlich wenn beim „Rothenburger Märchenzauber“ die ganze Stadt in Verkleidung und Bewegung ist, um Menschen allen Alters gut zwei Wochen lang auf eine Reise durch die Welt der Sagen und Erzählungen mitzunehmen. Und, so würden böse Zungen sagen, diese lästige Zeit zu überbrücken, bis in Rothenburg endlich wieder gemacht werden darf, was gemacht werden will: geweihnachtet!
„Nirgendwo ist die Adventszeit schöner als am Reiterlesmarkt“ wirft sich die Kleinstadt bescheiden in die mittelfränkische Brust, und wer zuvor mal einen Blick in die überbordenden Wohlfahrtsorte riskiert hat, der ahnt: Wehe, wenn sie losgelassen – im positivsten Sinne. Weihnachtsmuseum, Weihnachtsdorf, Weihnachtsalles quillt pünktlich am Freitag vor dem 1. Advent auf die alten Gassen und bratapfelpunschzimtet herrlich in die Nase.

Oder neugierig auf Schnitzeljagd gehen: Der „Rothenburger Märchenbummel“ lädt ebenso wie beispielsweise der „Rothenburger Turmweg“ oder der „Kinderstadtführer“ auf spielerische Art zur Entdeckungstour inklusive Rätsel und Gewinnspiel ein! (siehe unten) Ähm, ach so: Gibt’s auch noch was anderes als Altstadt und Weihnachten? Also – klar! Nicht umsonst hat die Bundesregierung Rothenburg ob der Tauber schon 2010 für das Engagement um Vielfalt, Toleranz und Demokratie als „Ort der Vielfalt“ ausgezeichnet. Aber wir können euch ja nun wirklich nicht alles schon vorher verraten. Einfach hinfahren! Die Koordinaten kennt ihr ja jetzt.

Text Katharina Wasmeier

Rothenburger Märchenzauber 2022
4. bis 19. November

Reiterlesmarkt Rothenburg
24. November bis 23. Dezember 2022

Kinderstadtführer
Sechs Touren unterschiedlicher Länge und in kindgerechte Geschichten verpackt. Gibt’s für eine Schutzgebühr von 5 Euro z. B. in der

Tourist-Info
Marktplatz 2, 91541 Rothenburg

www.rothenburg-tourismus.de

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