Perinatale Depression
Ein Baby ist unterwegs. Die Freude ist groß, das Glück scheint unendlich, die Welt ist eingetaucht in Glitter. So stellt man es sich gerne vor. Aber so ist es nicht immer. Es gibt viele Gründe, warum die Vorfreude auch getrübt sein kann – oder sich ganz auflöst. Rund 15 Prozent aller Mütter und sogar bis zu 10 Prozent der Väter leiden rund um Schwangerschaft und Geburt an einer Depression oder Angststörungen, die mit dem klassischen Baby-Blues nichts mehr gemeinsam haben. Erhalten sie keine Hilfe, dann kann das gravierende Folgen auch für die Entwicklung des Kindes haben. Das neue Versorgungsprojekt UplusE* soll die U-Untersuchungen durch ein Screening auf psychosoziale Belastungen ergänzen und die sogenannten perinatalen Depressionen damit so früh wie möglich aufdecken.
Langer Weg zur Diagnose
Das Ziel des Projektes: Das Screening soll zur Regelversorgung werden. Damit möchte man den oft steinigen Weg bis zur Diagnose stark verkürzen. Und sensibilisieren. „Mein Frauenarzt hat das Ausmaß der Verzweiflung nicht erkannt, riet mir, abends joggen zu gehen, und die Hebamme hat es homöopathisch versucht und mir versichert, das ginge vielen Frauen so. Dabei habe ich doch gespürt, dass das nicht mehr normal war.“ Bis Viola Tamm die richtige Hilfe gefunden hat, war es noch ein langer Weg.
Das Projekt UPlusE
Im Projekt UPlusE sollen ab Februar 10.000 BKK-versicherte Familien deutschlandweit gescreent werden. Um dies allen Beteiligten – den Schwangeren, den Eltern und auch den Ärzten – leicht zu machen, werden die Praxis-Apps „Meine GynPraxis“ und „Meine Pädiatrische Praxis“ für das Screening genutzt. Hierüber werden vor der nächsten Vorsorgeuntersuchung mithilfe von Fragebögen Hinweise auf Depressionen und psychosoziale Belastungen genauso abgefragt wie Ängste, Schwierigkeiten und die Beziehung zum Kind – die Info geht direkt an den Kinderarzt, der dann die Möglichkeit hat, Beratungsangebote zu machen. „Der Kinderarzt hilft im Bereich der psychischen Entwicklung dem Kind am besten, wenn er den Eltern hilft“, so Dr. Susanne Simen, bereichsleitende Oberärztin der Psychiatrie im Klinikum Nürnberg. „Wer nicht innerhalb von zwei Wochen Hilfe findet, kann sich beim UplusE-Team melden, bekommt hier ein Erstgespräch sowie eine Weitervermittlung.“ Das Ziel ist die Früherkennung, um Schaden von der ganzen Familie zu nehmen. Denn alle leiden darunter.
Was ist eine Perinatale Depression?
„Ich habe keinen Moment der Schwangerschaft genossen.“ Wenn die 41-jährige Viola sich an diese Zeit erinnert, macht es sie immer noch sehr traurig. „Ich habe mir Mühe gegeben, aber ich hatte das Gefühl, ich bin nicht mehr da. Ich war immer traurig, hatte Angst und konnte so gut wie gar nicht mehr schlafen.“ Mit ihrem Baby – einem Wunschkind – hatte das für sie nie etwas zu tun. Es war der Zustand, mit dem die werdende Mutter nicht klarkam – „biochemisch“, wie sie heute weiß. „Der Schalter im Gehirn“, so hat es die Psychiaterin, die mir damals geholfen hat, genannt, „ist bei mir nicht auf ,schwanger‘ umgesprungen.“ Sie konnte nicht mehr alleine sein, wurde Tag und Nacht von ihren negativen Gedanken gequält. „Ich habe mich bemüht, glücklich zu sein, eine Beziehung zu meinem Baby aufzubauen – aber innerlich war ich im Dauerstress, ich war wie ein Zombie. Das Wunder wurde zum Albtraum.“
Perinatale Depression frühzeitig erkennen
Die Welt erwartet irgendwie, dass eine werdende Mutter strahlt, sich von früh bis spät freut, positiv in die Zukunft sieht. Ist das Thema Depression an sich schon schambesetzt, ist es das rund um Schwangerschaft und Geburt noch viel mehr. Dabei lässt sich – frühzeitig erkannt – gut gegensteuern. Susanne Simen hat schon 2017 in Nürnberg gemeinsam mit Frauenärzten, Beratungsstellen, Hebammen und Kinderärzten ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, an dem bereits viele Praxen und Tausende von Frauen hier im Großraum teilgenommen haben. Auch die Nürnberger Geburtskliniken beteiligen sich. Mithilfe dieses Screenings sollen perinatale Depressionen zeitnah erkannt werden, und zwar auch bei den Frauen, denen es gelingt, trotz ihrem Leiden immer noch zu funktionieren.
Frühe Hilfe schützt vor Langzeitschäden
Und das sind nicht wenige. „Mutterschaft ist mit Glücklichsein verbunden, die Angst vor Stigmatisierung, aber vor allem auch Scham und Schuldgefühle sind sehr groß“, so Susanne Simen. „Das geht so weit, dass die Frauen sich selbst noch mehr unter Druck setzen, sich als schlechte Mutter fühlen und sogar Suizidgedanken aufkommen können. Eine solche Depression ist eine schwere, ernstzunehmende Erkrankung, für die die Frau nichts kann. Sie ist zumeist gut behandelbar. Aber unbehandelt bleibt sie die ganze Schwangerschaft und danach oft über Jahre bestehen. Das führt zu großem Leid der Betroffenen und kann auch das Kind in seiner gesunden Entwicklung beeinträchtigen.“ Umso wichtiger ist frühe Hilfe.
Auch Viola Tamm und ihrer Tochter konnte geholfen werden – mit Medikamenten, die dem Ungeborenen nicht schaden. Ein Jahr hat es nach der Geburt noch gedauert, bis die Sängerin wieder zu sich selbst gefunden hat. Dank ihres Partners und viel Hilfe von außen hat sie diese Zeit gemeistert. Juli ist heute vier Jahre alt und ein fröhliches kleines Energiebündel. An Geschwister war nach dieser Erfahrung nicht mehr zu denken, aber der kleine Sonnenschein nimmt das locker. „Die brauch ich ja auch nicht, ich hab doch Fische.“
Text: Simone Blaß
Anzeichen einer perinatalen Depression:
Müdigkeit - Erschöpfung - anhaltende Traurigkeit und häufiges Weinen - Gefühl der Leere - keine Freude - Appetitlosigkeit - Schuldgefühle - das Gefühl, zu versagen - Konzentrationsprobleme - Stimmungsschwankungen - Reizbarkeit - Schlafstörungen - körperliche Beschwerden - Antriebslosigkeit - ablehnende Gefühle gegenüber dem Baby - Ängste und Panikattacken - sexuelle Unlust - Zwangs- und Suizidgedanken