Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen

Vor dem Bildschirm gefangen
Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen

Das nächste Level im Online-Game lockt, mit Freunden wird fleißig gechattet und Tiktok vertreibt die Langeweile. Für viele Kinder und Jugendliche gehören neue Medien zum Alltag. Doch wann sollte es genug sein? Und was, wenn ein Kind in die Mediensucht gerät?

Der Sohn oder die Tochter versunken hinter dem Tablet, den Blick auf den Bildschirm fixiert. Die Aufforderung „Mach jetzt aus, es gibt gleich Essen“ verhallt ungehört im Raum. Viele Eltern werden solche Szenen kennen. Social Media und Online-Spiele gehören bei vielen Kindern und Jugendlichen zur Freizeitgestaltung. Die Mehrheit pflegt einen unproblematischen Umgang mit den neuen Medien, wie eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) zeigt. Sie entstand in Zusammenarbeit mit der Krankenkasse DAK-Gesundheit und beruht auf einer repräsentativen Befragung von 10- bis 17-Jährigen im Mai 2021. Doch was beunruhigt: In der Pandemie hat sich die Mediensucht in dieser Altersgruppe verbreitet.

Wie viel Medienzeit ist in Ordnung?

Bei zehn Prozent der Befragten bezeichnen die Wissenschaftler die Social-Media-Nutzung als riskant, bei knapp fünf Prozent sogar als pathologisch, also krankhaft. Für das Online-Gaming liegen die Werte auf einem ähnlichen Niveau. Ob stetig neue Posts im Feed oder das nächste Spiellevel, das erreicht werden will: Soziale Netzwerke und virtuelle Spielwelten halten die Aufmerksamkeit hoch. Doch wann sollte mit dem Scrollen auf Social Media, mit dem Gaming Schluss sein? Orientierung geben Empfehlungen von Experten. So rät etwa die Suchtkommission der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachverbände zu einer Bildschirmfreiheit bis zum Ende der Kindergartenzeit. In der Grundschule wird eine Nutzung von maximal 45 Minuten pro Tag empfohlen. 11- bis 13-Jährige sollten nicht mehr als eine Stunde, Jugendliche ab 14 Jahren nicht mehr als anderthalb Stunden täglich auf digitale Medien zugreifen.

negative Effekte der Mediennutzung

Dr. Philipp Martzog, Diplom-Psychologe am Klinikum Nürnberg, kann zwar nachvollziehen, dass Eltern solche Anhaltspunkte suchen, aber: „Man kann nicht von der Mediennutzungszeit sicher auf negative Effekte in der Entwicklung oder in der psychischen Konstitution schließen.“ Vielmehr gehe es darum, „was die Nutzung mit dem einzelnen Kind macht“. Nicht bei jedem wirkten sich Bildschirmzeiten von beispielsweise drei Stunden als gesundheitsgefährdend aus. Das Problem sei aber: Wenn die Auswirkungen eines exzessiven Gebrauchs offensichtlich werden, sei die Vorstufe der Medienabhängigkeit oft schon überschritten. „Die Übergänge von einem riskanten Nutzungsverhalten in eine Sucht sind fließend“, sagt er.
Woran sich eine Mediensucht zeigt

Wie gefährlich ist Mediensucht?

Die Alarmglocken sollten bei ihnen spätestens schrillen, wenn der Nachwuchs soziale Kontakte vernachlässigt, auf Musik oder Sport pfeift und der Platz am Esstisch oft leer bleibt, weil das Kind keine Kontrolle mehr über sein Nutzungsverhalten hat. Auch sinkende Leistungen in der Schule sind mögliche Folgen einer Mediensucht. „Eltern merken es spätestens, wenn sie ihrem Kind den Stecker ziehen, ob mit oder ohne Ankündigung. Dann kommt es zu Konflikten, die sie in dieser Form bisher nicht kannten. Die Kinder werden nervös und aggressiv. Das kann sich sogar in einem fremdgefährdenden Verhalten den Eltern gegenüber zeigen“, sagt Dr. Martzog. Die Medienabhängigkeit kann auch eine Depression oder Angststörung begleiten.

Behandlung und Prävention von Medienabhängigkeit

In der Tagesklinik der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Nürnberg Süd behandeln Dr. Martzog und seine Kollegen Jugendliche, die von diesen Störungen betroffen sind. In einem verhaltenstherapeutischen Gruppenprogramm sprechen sie über ihren Mediengebrauch, tauschen sich über Cybermobbing aus und lernen, in Situationen wie Langeweile nicht zum Smartphone zu greifen. Anna-Maria Pröpster, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Ausbildung, hat die Gruppe eine Zeitlang begleitet: „Die Jugendlichen nutzen Tiktok oder Instagram, um sich von negativen Gedanken und Gefühlen abzulenken. Teilweise verbringen sie sechs bis sieben Stunden am Handy.“

In der Therapie erarbeiten sie Strategien, um wieder soziale Kontakte im realen Leben aufzubauen. „Dadurch reduziert sich die Zeit am Handy“, erklärt Anna-Maria Pröpster. Dr. Martzog hält Beschäftigung generell für wichtig, um die Mediensucht zu bekämpfen: „Die beste Behandlung ist, dass Jugendliche wieder Freizeitaktivitäten pflegen.“ Zur Prävention rät er: Eltern sollten Smartphone und Co. nicht verteufeln oder komplett verbieten. Die neuen Medien böten schließlich auch positive Seiten, etwa Lernangebote. Eltern sollten ihr Interesse signalisieren, den Nachwuchs anleiten und Grenzen setzen. In vielen Familien wären klare Vereinbarungen ein erster Ansatz. Wie die UKE-Studie zeigt, gibt es in etwa der Hälfte aller Familien keine Regeln dazu, wie lange und auf welche Inhalte Kinder und Jugendliche zugreifen dürfen.

„Auch wenn sich Ihre eigene Faszination für die neuen Medien in Grenzen halten sollte, zeigen Sie Interesse an der Begeisterung Ihrer Kinder für diese Welt. Dies erleichtert ein gutes Gespräch, sie fühlen sich ernst genommen und öffnen sich. Ein guter Tipp dabei: Gestehen Sie Ihrem Kind zu, dass es auf dem Gebiet der PC- und Internetnutzung möglicherweise mehr Ahnung hat als Sie selbst – das schafft eine positive Grundstimmung und erleichtert den gegenseitigen Austausch. Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit füreinander, z.B. beim gemeinsamen Abendessen, um über das Thema im Gespräch zu bleiben. Das Internet bietet neben den zahlreichen Angeboten natürlich auch Risiken. Installieren Sie gegebenenfalls Jugend-Schutz-Programme und thematisieren Sie die Gefahren der Preisgabe persönlicher Daten oder Fotos.“

Susanne Papp, AOK-Sozialberaterin

Text: Kerstin Smirr ELMA #17, August/September 2022

protect-mediensucht.de informiert über die Mediensucht. Für eine erste Einschätzung steht dort ein Online-Test bereit. Für Kinder und Jugendliche sehenswert ist das Video von „Checker Tobi“ zum Thema: „Tobi Krell erklärt Mediensucht“.

Unter dhs.de sind Suchtberatungsstellen vor Ort recherchierbar. Wichtige Ansprechpartner sind auch die Kinderärzte. Zu den Aufgaben der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Nürnberg gehört auch die Abklärung der Mediensucht, Tel. 0911 398 – 6956.

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