Das Smarties Experiment

das egozentrische Kleinkind
Smarties-Experiment

Das Experiment: Man leere eine Schachtel Smarties und lege einen Stift hinein. Diese zweckentfremdete Verpackung zeige man nun einem drei- bis fünfjährigen Kind mit der Frage: "Was denkst du, was hier drin ist?" Vermutliclh wird das Kind wie jeder andere auch "Smarties" erwidern. Was antwortet es aber auf die Frage "Was wird wohl der Papa (oder Person X, die - wichtig! - nicht bei Öffnen dabei war) denken, was drin ist?"

Uns Erwachsenen ist sonnenklar: Eine Person, die nicht anwesend war, als wir die Verpackung geöffnet haben, kann nicht wissen, dass darin Stifte versteckt wurden, sondern wird fälschlicherweise denken, dass sich darin Smarties befinden. Doch haben auch schon kleine Kinder die Fähigkeit, sich in die Lage eines anderen hineinzuversetzen? Genau dieser Frage gingen Forscher der Psychologie mit diesem ausgeklügelten Versuch nach und fanden heraus, dass dieser Perspektivwechsel fast allen fünfjährigen Kindern gelingt. Die meisten Drei- bis Vierjährigen sind hingegen noch kleine „Egozentriker“!

Mitgefühl oder Perspektivübernahme?

Viele Kleinkind-Eltern und Krippenpädagog*innen werden jetzt sagen: Das kann nicht sein! Auch Zweijährige trösten doch schon Gleichaltrige. Wohl wahr! Grund hierfür scheint aber weniger die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme als vielmehr die sogenannte „emotionale Ansteckung“ zu sein. Mitgefühl und Perspektivenübernahme sind zwei Paar Schuhe – das belegt auch die Hirnforschung. Außerdem gelingt Kindern der Perspektivwechsel nicht von einem Tag auf den anderen. Eine Zweieinhalbjährige, die erkennt, dass ein anderes Kind nicht etwa „spinnt“, wenn es sich eine Banane ans Ohr hält und mit dieser spricht, sondern diese im Spiel als Handy nutzt, hat schon eine wichtige Vorstufe erlangt: Ich kann so-tun-als-ob spielen. So auch der Dreijährige, der am Telefon nun nicht mehr nur nickt, sondern laut und deutlich „ja“ sagt. Oder die Vierjährige, die bemerkt, dass der Kasperle den Räuber im Theater sucht, obwohl er selbst ja weiß, wo sich dieser versteckt hat!

Über Gefühle sprechen

„Können wir denn irgendetwas tun, um die Perspektivenübernahmefähigkeit zu fördern?“, fragen sich nun vielleicht einige (hoffentlich nicht über-)ambitionierte Eltern. Nicht wirklich. Abwarten und Tee trinken, lautet die Devise. Das meiste regelt die Gehirnentwicklung während alltäglicher sozialer Interaktionen von selbst! Trotzdem ein kleiner Tipp: Es gibt Studien, die zeigen, dass es die Perspektivenübernahme fördert, wenn Eltern über eigene Gefühle und Annahmen sprechen („Es ärgert mich, dass ...“, „Ich mag gerne wenn ...“). Dadurch erkennen Kinder, dass ihre Eltern – und folglich alle anderen auch – manchmal andere Bedürfnisse haben als sie selbst. Und: Wir Eltern wissen nun um den lange andauernden „Egozentrismus“ unserer Kinder. Wir können zu „Perspektiv-Übersetzern“ werden – aber ohne anderen ein Gefühl überzustülpen. Denn wer weiß schon genau, ob ein anderer traurig, enttäuscht oder wütend wird?

Vorbild sein

Konkret heißt das: Ein Kleinkind, das ein anderes Kind mit Sand bewirft, kann gedanklich noch nicht nachvollziehen, dass dieses das vermutlich wenig angenehm findet. Was tun? Unbeteiligter Beobachter einer solchen Szene sein und sich denken „Ach, mein Kind kann’s halt noch nicht“ ist unbedeutend besser als einen Dreijährigen dazu zu zwingen sich zu entschuldigen – denn das wäre nur eine leere Floskel. Wie wäre es aber damit, unseren Kleinen zu erklären, dass sich Sand im Gesicht unangenehm anfühlt oder dass eine Schaufel auf dem Kopf weh tut („Hey. Höre bitte auf damit! Wie fändest du denn so eine harte Schaufel auf dem Kopf? Komm, lass uns lieber eine Sandburg bauen“)? Oder Vorbild zu sein und uns ganz einfach im Namen unserer Kinder zu entschuldigen?

Last but not least ist eine kleine „Warnung“ auszusprechen: Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ermöglicht Kindern nicht nur ein besseres soziales Miteinander, sie verhilft ihnen auch dazu, andere bewusst anzulügen oder zu täuschen. Noch eine Stufe komplizierter scheinen übrigens Ironie und Sarkasmus zu sein. Diesen häufig genutzten Sprachstil von Erwachsenen verstehen selbst Grundschulkinder oft noch nicht!

 

„Kinder denken einfach anders“ – was wir schon lang geahnt haben, ist dank Elisabeth Rose jetzt Gewissheit. Spannende Themen der Entwicklung behandelt die Kinder- und Jugendpsychologin in ihrem Buch. Und in unserer ELMA.

Text: Elisabeth Rose ELMA #15 April/Mai 2022

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